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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helke Böttger
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kaum aus dem Haus gegangen.
    Vielleicht war der Fisch einfach nur alt und verdorben gewesen. Der Fischer hatte angedeutet, dass der Fang gekühlt werden musste, weil er sich sonst nicht mehr hielt. Das war die Erklärung. Er hatte in der Hitze auf dem Tisch gelegen, der Fisch war mit Sicherheit schlecht gewesen.
    Victoria atmete auf. Gafas war an verdorbenem Fisch gestorben, nicht an Gift. Sie fühlte sich erleichtert.
    Sie stand wieder auf und ging zum Fenster. Sie sah hinunter in den Garten, wo Gafas unter einem Mandelbaum begraben lag. Eine Träne stahl sich in ihr Auge. Es tat ihr leid, dass das Tier ihretwegen gestorben war. Und sie hoffte, dass ihre Vermieterin sie nicht dafür verfluchen würde, wenn sie davon erfuhr.
    Sie wollte gerade vom Fenster zurücktreten, als sie einen Polizeiwagen die Straße hinaufjagen sah. Dann einen zweiten und dritten. Sie fuhren lautlos, nur das Blaulicht leuchtete von ihren Dächern.
    Mit klopfendem Herzen sah sie den Wagen hinterher. Und für einen kurzen Moment befürchtete sie, dass vielleicht eine neue Leiche entdeckt worden wäre. Doch dann schob sie den Gedanken schnell in die hinterste Ecke ihres Kopfes.
     
    ***
     
    Von der Toten erfuhr Victoria durch Señora Rodriguez. Die alte Frau kam zu ihr in die Wohnung, um sie warnen. Zuerst ließ sie sich noch lang und breit über die Mörder ihrer Katze aus. Victoria versuchte mehrere Male, ihren Redefluss zu stoppen und die Sache richtigzustellen, doch sie kam nicht dazu. Für die alte Frau stand es fest, dass das Tier vergiftet worden war. Und bevor sie auch nur den Versuch machte, Victorias Sicht der Dinge anhören und gar verstehen zu wollen, sprach sie über den nächsten Tagesordnungspunkt: die neue Leiche. Eine junge Frau war ermordet aufgefunden worden. Sie lag in einem Olivenhain, nackt und bloß. Und sie hatte keine Augen mehr. Wie es aussah, trieb ein Mörder sein Unwesen auf der Insel und tötete junge Frauen. Es sei also angebracht, das Haus gar nicht mehr zu verlassen. Danach ließ sie eine lange Schimpftirade auf die Polizei los, die unfähig sei und es verdient hätte, in der Hölle zu schmoren. Und dass man sie auf keinen Fall rufen dürfe, dadurch würde alles noch schlimmer.
    Victoria erstarrte und hörte kaum noch zu. Es war die Information über die fehlenden Augen, die ihren Herzschlag für einen Moment aussetzen ließ. Waren sie ausgestochen worden? Wieso hatte die Tote keine Augen mehr?
    Doch das konnte ihr die Vermieterin nicht beantworten. Sie zeterte noch ein wenig, dann verzog sie sich in den kühleren Teil ihres Hauses.
    Victoria hingegen lief wie aufgezogen hin und her. Sie schwankte zwischen Panik und Hysterie. Auf der einen Seite wäre sie am liebsten davongelaufen und hätte hier allem den Rücken gekehrt, um irgendwo, wo es keine Mörder und Leichen gab, nochmals neu anzufangen. Aber das war wohl unmöglich. Offenbar fand sie nirgends Ruhe.
    Auf der anderen Seite fühlte sie sich so, als würde sie der Wahnsinn bald überwältigen. Wo auch immer sie hinging, folgten ihr Tod und Leichen. War sie verdammt dazu, für immer mit diesem Elend und Verderben leben zu müssen? Welche himmlische Macht dachte sich nur solche Qualen für sie aus? Oder hatte sie inzwischen tatsächlich die feine Linie überschritten und war dem Wahnsinn zum Opfer gefallen? War sie gar selbst die Mörderin? Immerhin hatte sie in der Nacht von ausgestochenen Augen geträumt.
    Sie lachte auf bei diesem Gedanken. Ein hysterisches Lachen, das ihr die Gedärme zusammenzog. »Ja, mach dich über mich lustig!«, rief sie in die leere Wohnung und blickte in Richtung Himmel, der von der Zimmerdecke verdeckt wurde. »Lach über mich, wenn du dein Spielchen mit mir treibst. Lach nur. Aber ich finde das nicht witzig.«
    Als sie merkte, dass sie nur mit sich selbst sprach, rief sie sich zu Ordnung. Gott besaß vermutlich keinen Humor. Er würde sicherlich auch nicht auf diese Weise mit ihr spielen.
    Verzweifelt setzte sie sich auf die Couch.
    Als Francisco wenig später an ihre Tür klopfte, hatte sie sich einigermaßen gefasst. Sobald er sie erblickte, huschte ein Lächeln über sein ernstes Gesicht und er zog sie an sich.
    »Du hast mir gefehlt«, murmelte er in ihr Ohr.
    »Du mir auch«, erwiderte sie und drückte ihn an sich.
    »Geht es dir gut?«, fragte er, »hast du es gehört?« Sie wusste, was er meinte und konnte spüren, wie vorsichtig er war, um sie zu schonen.
    »Ja, ich habe davon gehört. Es hat bestimmt nichts mit mir zu

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