Der geduldige Tod (German Edition)
Jemand hat sie mit einem Skalpell abgetrennt, dabei ist sie verblutet.«
»Oh Gott.« Victoria musste sich setzen. Ihr wurde wieder schwindelig. Sie begann zu summen und ihren Spruch aufzusagen.
»Was ist los?«, fragte die Kommissarin ungerührt. »Wird Ihnen schlecht?«
»Ich bekomme Panikattacken«, gab Victoria schließlich zu, als sie sich besser fühlte. »Ich war in Deutschland Opfer eines Serienmörders, seitdem werde ich von diesen Angstanfällen heimgesucht.«
Die Besucherin setzte sich ebenfalls. Ohne die Miene zu verziehen, musterte sie ihr Gegenüber. »Was war das für ein Serientäter?«
»Er hat die Körperteile von Frauen abgetrennt, um sie zu einer neuen Person zusammenzusetzen. Von mir wollte er die Hände.«
Sie zeigte ihre Narben.
»Und was wollen Sie hier?«
»Alles vergessen. Mein Leben in Deutschland ist ruiniert, ich dachte, ich könne hier ein neues Leben anfangen.«
Die Polizistin stand auf. »Ich hoffe nur, Sie haben den Killer nicht auf meine Insel gebracht«, zischte sie. »Dann mache ich Sie fertig. Oder waren Sie es vielleicht selbst? Haben Sie die Frau getötet? Wer sonst käme auf solch eine irre Idee, die Füße abzutrennen? Das kann nur jemand sein, der so etwas schon einmal gehört oder erlebt hat. Wo waren Sie in der Nacht des Mordes?«
Victorias Herz klopfte wie wild. »Ich habe nichts getan! Ich war hier! Ich war auf einem Bootsausflug, dann war ich zu Hause!«
»Wieder mit Francisco?«
»Nein, alleine.«
»Und wie kommt Ihre Unterwäsche auf den Mast?«
»Ich habe keine Ahnung! Das müssen Kinder gewesen sein, die einen Streich spielen wollten. Vielleicht eine Mutprobe.«
Die Frau wandte sich zur Tür. »Ich werde der Sache nachgehen, in beiden Fällen. In der Zwischenzeit rate ich Ihnen, die Füße stillzuhalten. Sollten Sie irgendetwas getan haben, was nicht ganz in Ordnung ist, selbst wenn Sie nur bei Rot über eine Ampel gegangen sind, ziehe ich Sie zur Verantwortung. Und passen Sie gefälligst besser auf Ihre Sachen auf, ich habe keine Lust, ihre Klamotten erneut von einem Mast pflücken zu lassen.« Sie öffnete die Tür, doch bevor sie rausging, drehte sie sich noch einmal um. »Ach ja, noch ein Tipp von Frau zu Frau: Halten Sie Ihre Beine geschlossen. Die Männer hier geben nicht viel auf billige deutsche Frauen.«
Danach knallte sie die Tür zu.
Victoria war viel zu aufgewühlt, um sich über das unangemessene Verhalten der Polizisten zu wundern oder gar aufzuregen. Sie saß wie vom Donner gerührt und zitterte am ganzen Leibe. Ihr Blick verschwamm, weil sich Tränen in ihren Augen bildeten.
War der Mörder zurück? Das konnte nicht sein! Er saß in Deutschland in Gefängnis. Und wer hatte ihre Wäsche gestohlen? Warum?
Es musste ein Albtraum sein. Sie kniff sich und gab sich eine Ohrfeige, um aufzuwachen, doch nichts veränderte sich. Sie saß hellwach in ihrem Wohnzimmer und vor ihr lag der Beutel mit ihren Sachen, den die Polizistin dagelassen hatte. Dann musste alles ein Irrtum ein. Ein ganz gewaltiger Irrtum.
Doch als sie den Beutel öffnete, fiel ihr Badeanzug heraus, auch ihren BH und den Slip erkannte sie sofort. Sie gehörten ihr. Kein Irrtum.
Wenn diese Sache Realität war, konnte das mit der toten Frau am Strand und den abgetrennten Füßen auch kein Albtraum sein. Dann hatte sie vielleicht wirklich den Killer hierher gelockt.
Augenblicke
Noch immer zitternd und bebend erhob sich Victoria und ging zum Telefon. Sie hatte sichtlich Mühe, in ihrem Zustand den Hörer zu halten und die richtigen Tasten zu treffen. Schließlich ertönte ein Rufzeichen und danach die Stimme ihres Vaters.
»Papa, ich habe nur ganz kurz eine Frage…«
Doch er ließ sie nicht ausreden. »Vicky! Schön, dass du anrufst! Hast du die Einladung erhalten? Kommst du zu meinem Geburtstag?«
»Nein, bestimmt nicht. Ich will nur etwas wissen, deshalb rufe ich an.«
Enttäuscht wurde seine Stimme ruhiger. »Was ist es? Was willst du wissen?«
»Sitzt er noch?«
Er schwieg für einen Augenblick, als müsse er überlegen, was sie gemeint haben könnte. »Soviel ich weiß, sitzt er noch. Warum?«
»Hier wurde eine Frau gefunden, der jemand mit dem Skalpell die Füße abgetrennt hat. Kann er das sein?«
Sie fühlte sich den Tränen nahe. Ihr Vater musste es gehört haben, denn sein Ton wurde tröstlich. »Das kann nichts mit deinem Fall zu tun haben, das muss ein Zufall sein. Bleib ganz ruhig, Vicky. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass du zweimal das
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