Der geduldige Tod (German Edition)
einfällt.« Sie lächelte.
»Ein Glas Wein hilft.« Er hob sein Glas. »Auf deine schönen Erinnerungen, dass sie schon bald die schlechten verdrängen und dich wieder zu einer glücklichen Frau machen.«
»Danke. Das wünsche ich dir auch. Dass die guten Erinnerungen dich bestimmen, nicht die Trauer um den Verlust.«
Er nickte. Dann stießen beide an, wobei sich ihre Blicke trafen.
Der Wein schmeckte sehr gut, vollmundig und fruchtig. Die zweite Sorte war etwas trockener und leichter, die dritte schmeckte nach Sonne, die vierte nach Erdbeeren. Nach dem fünften Glas fühlte sich Victoria so leicht und beschwingt, dass sie am liebsten nur gekichert hätte. Und sie erzählte tatsächlich mehr von ihrem Leben »davor«, von der Zeit, als sie noch unbeschwert und unversehrt war. Sie berichtete von ihrem ersten Liebeskummer, ihrem ersten Freund, dem sie schon nach zwei Wochen den Laufpass gegeben hatte, weil er ihre Hausaufgaben in der Schule gestohlen und als seine ausgegeben hatte. Sie erinnerte sich an die Kaninchen, die sie als Kind bei den Nachbarn gefüttert hatte, als diese verreist waren, und dabei eines ausgerissen und nie wieder gekommen war. Der Vater hatte ihr erzählt, dass es jetzt vermutlich eine wilde Kaninchenfamilie irgendwo gab, aber später erfuhr sie, dass es jemand gefunden und geschlachtet hatte. Sie erzählte Francisco sogar von ihrem ersten Date mit Ronald, ihrem Mann, der damals so aufgeregt war, dass er die ganze Zeit mit offenen Hosenstall vor ihr gesessen und es nicht gemerkt hatte, sie sich aber nicht traute, es ihm zu sagen. Beim nächsten Date sei er vor Scham am liebsten im Boden versunken, aber beim dritten hätten sie darüber herzlich gelacht, und als Victoria ihn in dieser Nacht bei sich übernachten ließ, hätte sie seinen Reißverschluss höchstpersönlich geöffnet.
Es war ein wunderschöner Abend in diesem Weinrestaurant in den Bergen. Victoria fühlte sich so ausgelassen und glücklich wie schon lange nicht mehr. Francisco hörte ihr aufmerksam zu, lachte mit ihr und flüsterte ihr hin und wieder nette Zärtlichkeiten zu. Und als sie nach dem sechsten Glas Wein die Kriminalkommissarin in die Weinstube eintreten sah, glaubte sie zunächst an eine Fata Morgana. Doch dann musste sie zur Toilette und sah die Frau in Fleisch und Blut allein an einem Tisch sitzen. Mit einem Schlag war ihre gute Laune dahin.
Zum Glück bemerkte die andere sie nicht, weil sie kaum von ihrem Handy aufsah, in dem sie irgendetwas zu lesen schien.
Schnell kehrte Victoria zu ihrem Tisch zurück. Doch Francisco bemerkte, dass etwas nicht stimmte.
»Die Polizistin ist hier«, antwortete sie auf seine Frage.
Er folgte ihrem Blick zu dem Tisch, auf dem eine Kerze stand und an dem die Frau saß und etwas in ihr Handy tippte.
»Sie hat Feierabend und will das gute Essen genießen.«
»Vielleicht hat sie den Mörder gefangen.«
Sie beobachtete, wie ein Mann an den Tisch der Kommissarin trat und ihr unauffällig über die Wange strich. Deren Gesicht hellte sich auf. Sie blickte auf, nahm seine Hand und küsste sie kurz. Dann sagte sie etwas, was Victoria nicht verstehen konnte, und lächelte. Der Mann trat zurück und ging hinter den Tresen, wo er ein Bier zapfte.
»Sie ist offensichtlich mit dem Eigentümer liiert«, murmelte Francisco versonnen. »Das wusste ich gar nicht.«
»Kennst du sie?«
»Nur flüchtig. Ich weiß nur, dass ihr Mann tot ist.«
Auf einmal fiel ihr ein, dass die Kommissarin Francisco beim Namen genannt hatte, als sie ihn bei Victoria angetroffen hatte.
»Sie kannte dich auch.«
Er nickte. »Die Insel ist klein.« Damit schien für ihn das Thema erledigt. Er leerte sein Glas und rief den Kellner, um die nächste Sorte zu bestellen. Victoria stimmte zu, doch sie war nicht mehr bei der Sache. Immer wieder starrte sie zur Kommissarin hinüber, die zwei Bier trank und einen Eintopf aß. Sie versuchte auch noch, Francisco ein paar Anekdoten aus ihrem Leben zu erzählen, aber ihr fiel nichts Geeignetes mehr ein. Schließlich hatte sie das Gefühl, genug getrunken zu haben. Ihr Kopf fühlte sich schwer und dick an, ihre Hände hantierten noch ungeschickter als sonst. Und als sie in den Weinberg sah, der gespenstisch und dunkel in der Nacht neben dem Restaurant lag, glaubte sie, jemand zwischen den Weinstöcken stehen zu sehen. Jemand, der sie anstarrte.
Unwillkürlich begannen ihre Hände zu zittern. Ihr Herz begann wieder wild zu pochen.
»Was ist los?«, fragte Francisco.
»Da
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