Der geduldige Tod (German Edition)
die Augen. Solche Sprüche brauchte sie nun wirklich nicht. Sie war hier, weil sie Hilfe suchte. »Außerdem hat jemand meine Sachen von der Leine gestohlen und meinen Fisch vergiftet.«
Der Kommissar wurde nun doch hellhörig und ließ sich alles erzählen. Als sie fertig war, runzelte er die Stirn. »Sind Sie sicher, dass die Anschläge Ihnen galten? Wo wohnen Sie?«
Sie nannte den Namen ihrer Vermieterin, daraufhin nickte der Mann verständnisvoll. »Machen Sie sich keine Sorgen. Das wird sicherlich Señora Rodriguez zu verantworten haben. Wenn Sie wollen, werden wir die Sache in ihrem Namen weiterverfolgen.«
Doch Victoria wehrte ab. Ihre Vermieterin wollte nichts mit der Polizei zu tun haben, das würde sie ihr übelnehmen.
Sie wechselte noch ein paar Worte mit dem Mann, der ihr ganz unverblümt weitere Avancen machte, dann verließ sie erleichtert das Gebäude. Der Mann hatte Recht. Die Vorkommnisse mussten tatsächlich nicht zwangsläufig Victoria gelten. Dass Señora Rodriguez düstere Männer kannte, hatte sie bereits festgestellt. Vielleicht besaß sie auch rachedurstige Feinde, die Victorias Wäsche stahlen, weil sie glaubten, sie gehöre ihrer Vermieterin. Und sie vergifteten ihre Katze, die zuvor völlig harmlosen, leicht verdorbenen Fisch gefressen hatte. Und sie gaben Gift in den Pool, weil sie annahmen, dass es der älteren Frau zumindest Ärger einhandeln würde, falls sie nicht selbst darin badete. Diese Variante war nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich.
Beruhigt lief Victoria durch den warmen Nachmittag. Sie spazierte den Strand hinunter, wo sich die Touristen immer noch tummelten, auch wenn einige vielleicht etwas vorsichtiger wirkten. Dass ein Mörder hier sein Unwesen trieb, war ihnen offenbar nicht entgangen. Doch sie fühlte sich etwas besser, obwohl das Gefühl der Beklemmung sie nicht verlassen wollte. Daher schlug sie schon bald wieder den Weg nach Hause ein.
Das Gartentor stand offen, als sie ankam, und durch das offene Küchenfenster von Señora Rodriguez konnte sie mehrere Stimmen vernehmen. Sie wollte nicht absichtlich hineinsehen, aber da sie die Frau fragen wollte, ob sie das mit dem Pool wisse, blieb sie für einen Moment stehen. Und da sah sie es. Zwei junge, schlanke Männer, die Victoria noch nie gesehen hatte, standen neben der Tochter in der Küche und hatten verschiedene Dinge auf dem Tisch ausgebreitet: Uhren, Ketten, Brieftaschen und andere Wertgegenstände lagen bunt durcheinander. Offensichtlich Diebesgut.
Victoria hielt die Luft an und schlich so lautlos wie möglich an dem Fenster vorbei. Dann war es natürlich kein Wunder, wenn jemand die Katze der Frau tötete oder ihren Pool vergiftete. Sie hatte die Ereignisse wirklich völlig zu Unrecht auf sich bezogen.
Befreit öffnete sie ihre Wohnung, ließ kaltes, sauberes Wasser in die Badewanne ein und nahm ein erfrischendes Bad.
***
Als sie am nächsten Morgen aufstand, lag der Gedanke an die Polizei in Victorias Kopf so fern wie der Kilimandscharo. Sie erinnerte sich nur zu gut an die Vorkommnisse in der Küche ihrer Vermieterin, aber das würde sie niemals der Polizei melden. Dafür hatte sie viel zu viel Angst vor der Frau und ihren Schlägern.
Auch am Morgen, als sie auf dem Markt bei Francisco Tomaten kaufte und lange mit ihm flirtete, war an Polizei nicht zu denken. Er erkundigte sich liebevoll nach ihr und fütterte sie mit frischen Aprikosen und Pfirsichen. Sie genoss es, mit ihm zusammen zu sein, und als sie ihm von den frechen Sprüchen des Polizisten erzählte, runzelte er eifersüchtig die Stirn und schwor, dem Mann die Zunge rauszuschneiden, sollte er jemals wieder etwas Unverschämtes in Victorias Gegenwart äußern.
Sie hörte ihm lächelnd zu und fühlte sich gut. Auf einer Skala von 1 bis 10 würde sie ihren heutigen Zustand mit einer glatten 5 beurteilen. Das war das beste Ergebnis seit der »Katastrophe« und ein neuer Rekord. Schließlich gab sie ihm einen letzten Kuss und verabschiedete sich von ihm, um hinunter in den Ort zu gehen. Sie hatte vor, sich einen neuen Badeanzug zu kaufen, weil sie sich in dem alten nicht mehr wohlfühlte, nachdem er offensichtlich in die falschen Händen geraten war. Doch sie kam nicht bis zur Promenade mit den Geschäften. Und mit einem Schlag sank ihr Wohlfühlfaktor wieder auf null.
Am Hafen, dort wo der Fischmarkt lag, stand eine Traube von Menschen. Polizeiwagen blockierten die Hafeneinfahrt, mehrere Polizisten versuchten, die
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