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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helke Böttger
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wollte ihn reinlegen.«
    »Ja. Aber warum?«
    »Weil er mich kannte?«
    »Vielleicht. Oder weil er zufällig einen guten Sündenbock abgab. Es tut mir leid um Francisco, ehrlich. Er war ein netter Kerl.«
    Sie sah auf den Tisch, und Victoria glaubte, in ihrem Gesicht wirkliche Reue zu entdecken.
    »Er war unendlich traurig.«
    Die Kommissarin nickte. Und schon war der Moment vorüber, das Sanfte verschwand aus ihrem Gesicht und sie wurde wieder ganz sachlich. »Denken Sie darüber nach, was Ihnen noch einfällt. Alles, was Ihnen in den Sinn kommt, könnte wichtig sein. Dann rufen Sie mich an.«
    Victoria stand auf. »Mache ich.«
     
    Als sie auf der Straße stand, steuerte sie die Bushaltestelle an. Sie stieg in den erstbesten Bus, der ankam. Doch der brachte sie nicht nach Hause, sondern beendete am Yachthafen seine Fahrt.
    Victoria stieg aus und konnte später nicht mehr sagen, warum sie den Weg zu den Booten eingeschlagen hatte. Es musste ihr Unterbewusstsein gewesen sein, dass sie vorantrieb, denn auf einmal stand sie an einer vertrauten Stelle.
    Der Platz am Steg war wieder besetzt. Franciscos Boot lag da, als würde es nur auf seinen Kapitän warten. Doch der kam nicht wieder. Und niemand Unbefugtes durfte es betreten, ein Polizeiband hielt unerwünschte Besucher ab.
    Victoria spürte, wie die Tränen erneut über ihre Wangen rannen. Sie dachte an Franciscos braune Augen mit dem traurigen Schimmer darin, an seine Zärtlichkeiten und sein Verständnis. Sie strich über den Bug des Bootes, als wäre es ein Teil von ihm. Hier hatte sie das Gefühl, ihm am nächsten zu sein. Vielleicht hing ja sogar noch ein kleines bisschen seiner Seele in den Planken des Bootes.
     »Es tut mir leid, Francisco«, flüsterte sie, »sehr, sehr leid.« Sie wischte erneut eine Träne von ihrer Wange.
    Doch das Boot antwortete nicht. Niemand antwortete ihr. Sie stand ganz allein am Steg und starrte die toten Planken an. Dann stieg sie durch das Polizeiband und kletterte hinauf. Sie hatte keine Ahnung, wie man ein Boot segelte, sie hatte es nur bei Francisco beobachtet.
    Mühevoll löste sie mit ihren schwachen Händen das Seil, dann warf sie den Motor an. Sie wollte das Boot hinauf aufs Meer steuern, um zu der Stelle zu gelangen, wo er sich getötet hatte. Vielleicht konnte sie wenigstens für kurze Zeit ihre Schuldgefühle vom Wind verwehen und die schönen Stunden mit ihm wieder aufleben lassen. Und für einen Moment das Gefühl haben, dass er ihr nahe war.
    Das Boot entfernte sich langsam tuckernd vom Steg, bahnte sich seinen Weg durch die Wellen hinaus aufs Meer. Doch das Meer schien sich gegen ihren Besuch zu wehren. Die Wellen schlugen hoch an die Bordwand, der Wind peitschte das Segel, das Victoria mit Mühe gehisst hatte. Er riss am Steuer, so dass sie es kaum halten konnte. Viel zu schnell steuerte es auf die endlose Weite des Horizonts zu, als sie gegensteuern wollte, drohte es zu kippen.
    Panik machte sich in ihr breit. Sie hatte das Gefühl, als würde sie auf einem fremden Lebewesen stehen, das seinen eigenen Willen hatte und ihr den Dienst versagte. Sie hatte keine Ahnung, wie sie es zähmen sollte. Verzweifelt versuchte sie, Franciscos Boot wieder auf das Land zuzusteuern, doch es gehorchte nicht. Sie wusste nicht, wie sie das Segel bedienen sollte. Die einzige Möglichkeit schien ihr, es einzuholen und den Motor wieder anzuwerfen. Als sie am Seil zog, das das Segel hielt, entdeckte sie Blut. Es musste von Franciscos Verletzungen stammen.
    Und auf einmal kam der Schrei, der schon so lange in ihr geschlummert hatte, und brach sich Bahn. Es war aber kein Schrei des Entsetzens mehr, sondern eher der Verzweiflung über sich selbst.
    »Ich bin ein Wrack«, schluchzte sie schließlich, als nur noch der Wind und das Schreien der Möwen zu hören waren. »Ein seelisches Wrack, das Gut von Böse nicht mehr unterscheiden kann. Und jetzt bin ich selbst zum Monster geworden. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen, wo auch immer du jetzt bist.«
    Sie strich über die Spur getrockneten Blutes, die sie durch ihre Tränen nur verschwommen wahrnehmen konnte. Dann weinte sie nur noch.
    Sie konnte hinterher nicht sagen, wie lange sie in dem Boot gesessen hatte, das mit ihr über die Wellen trieb. Die Küstenwache fand sie schließlich und schleppte erneut die »Rainbow« auf den Hafen zu. Sie nahmen sie jedoch nicht fest, sondern ließen sie gehen, da einer der Männer sie wiedererkannte und Mitleid mit ihr hatte.
    Mit verweinten Augen

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