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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helke Böttger
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sprang sie auf den Steg und drehte sich ein letztes Mal zu dem Boot um, das nun wieder sicher vertäut lag. Dann wandte sie sich ab und wollte den Steg hinunter zum Ausgang des Hafens gehen, dabei fiel ihr Blick auf einen Mann, der zwischen Touristen und Marktbesuchern stand. Er war zu weit entfernt, als dass sie ihn erkennen konnte, aber sie hatte das Gefühl, dass er sie unverwandt ansah, als würde er sie kennen und beobachten. Niemand sonst nahm Notiz von ihr.
    Sie wollte auf ihn zugehen, doch da wandte er sich schnell ab und verschwand in der Menschenmenge.
    Victorias Herz klopfte wie wild. Dieses Mal war es kein Schatten gewesen. Sie hatte es sich nicht eingebildet, ganz sicher nicht. Der Mann hatte sie wirklich beobachtet. Doch wer war er? Warum floh er vor ihr?
    Sie konnte vor Angst kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Am liebsten wäre sie in die andere Richtung gerannt, aber da lagen nur das Ende des Steges und dahinter das Meer. Sie konnte zwar noch ein Weilchen warten, aber letztlich musste sie dahin gehen, wo er gestanden hatte.
    Sie beschloss, es sofort zu tun. In der Masse der Touristen war sie hoffentlich einigermaßen sicher. Furchtsam stakste sie vorwärts. Um sie herum spazierten ahnungslose Urlauber, unbeschwert und vergnügt. Ihr Lachen drang jedoch wie aus weiter Ferne an ihr Ohr.
    Je näher sie der Stelle kam, an dem sie den Fremden gesehen hatte, desto unruhiger wurde sie. Doch dort befand sich niemand mehr. Sie sah sich suchend um, konnte ihn aber nicht entdecken. Als sie weitergehen wollte, trat ihr Fuß auf etwas Ungewöhnliches. Sie sah zu Boden und entdeckte einen Reisepass. Jemand musste ihn verloren haben.
    Sie hob ihn auf, um hineinzusehen, und hätte ihn fast wieder fallen lassen. Es war ihr Pass, den sie seit ein paar Tagen vermisste. Doch anstelle ihres Fotos erblickte sie das Bild einer Fremden. Sie hatte Locken wie sie, ihr Gesicht war jedoch bleich und fahl, ihre Augen leer.
    Victorias Puls raste. Sie hätte den Pass am liebsten weggeworfen, aber sie musste ihn aufbewahren, um ihn der Polizei zu geben. Für einen Moment schloss sie die Augen, um sich zu sammeln und die Angst, die in ihr erneut aufkeimen wollte, niederzuringen. Sie holte tief Luft, blendete alles um sich herum aus, summte ihr Kinderlied.
    Dann öffnete sie die Augen wieder und wollte Lucia Hernandez anrufen. Doch sie kam nicht dazu, denn eine Gruppe junger Leute – Franciscos Ex-Freundin mit ihren Bekannten – hatten Victoria erblickt und steuerten nun auf sie zu. Und sie sahen nicht so aus, als wollten sie ein nettes Gespräch mit ihr führen.
    Victoria nahm den schmutzigen Pass fest in ihre Hand und lief davon. Sie rannte auf die Straße zu, so schnell sie konnte. Doch die Bande ließ sich nicht abschütteln. Im Gegenteil. Sie kam immer näher. Die jungen Leute waren wesentlich kräftiger und ausgeruhter als sie. Bald würden sie sie eingeholt haben.
    Victoria spürte, wie ihre Lungen nach Luft ächzten, ihre Beine schwer wurden. Lange würde sie das nicht durchhalten können.
    Sie hörte, wie das Mädchen hinter ihr sie wütend beschimpfte und für Franciscos Tod verantwortlich machte.
    Victoria stolperte die Straße entlang und wäre fast gestürzt, als plötzlich ein Auto neben ihr anhielt. Darin saß ihre Vermieterin mit einem der Schlägertypen.
    »Einsteigen!«, rief die Alte und öffnete die Tür.
    Victoria zögerte, als sie den Mann am Steuer erblickte, der vermutlich mit dafür gesorgt hatte, dass Francisco so schlimm zugerichtet worden war. Aber als sie die Straße hinuntersah, wo die Bande um Franciscos Ex-Freundin sie fast erreicht hatte, stieg sie rasch ein.
    »Wo waren Sie?«, fragte Señora Rodriguez. »Strand?«
    »Ja, Strand«, log Victoria.
    »Strand gut?«
    »Ja, gut.«
    Das Gespräch ging ein paar Minuten so stockend weiter, dann waren sie am Haus angekommen.
    Victoria stieg aus, verabschiedete sich und stieg die Treppe hinauf. Sie hielt den Pass noch immer so fest umklammert, dass ihre Hand schmerzte.
    Als sie die Wohnungstür öffnete, wunderte sie sich ein wenig, dass die zweimal abgeschlossen war, normalerweise drehte sie den Schlüssel nur einmal um. Aber vielleicht hatte sie es heute ausnahmsweise einmal anders gemacht als üblich.
    Sie eilte ins Wohnzimmer zum Telefon. Doch bevor ihre Hand nach dem Hörer greifen konnte, hielt sie inne.
    Dann schrie sie.
     
    ***
     
    Lucia Hernandez kam etwa eine halbe Stunde später mit Blaulicht zu Victorias Haus gefahren. Was die deutsche Frau

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