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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helke Böttger
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Zeugen
     
     
    Am nächsten Tag wurde Victoria zur Vernehmung ins Kommissariat gerufen. Ihre Augen waren verquollen vom vielen Weinen, so dass Kommissarin Lucia Hernandez sich Mühe gab, ihr etwas Mitgefühl entgegenzubringen. Sie reichte Victoria eine Tasse Kaffee und gestattete ihr sogar, in der etwas gemütlicheren Küche Platz zu nehmen.
    »Sie müssen sich schrecklich fühlen«, sagte sie, nachdem ihr Gegenüber den ersten Schluck Kaffee getrunken hatte.
    Victoria nickte bekümmert, und die Schuldgefühle kehrten zurück. »Ich hatte ihn gestern weggeschickt. Er stand da, blutend und verletzt, und ich habe ihn einfach fortgeschickt.« Wieder rollten Tränen ihre Wangen hinunter.
    »Er hätte zu uns kommen können. Wir hätten ihn beschützt.«
    »Und vermutlich wieder verhört.«
    »Vermutlich. Aber er wäre auch medizinisch behandelt worden.«
    Victoria schwieg. Francisco war weder zur Polizei noch in ein Krankenhaus gelaufen. Er wollte nicht mehr. Er hatte den Tod aus eigenem Willen gesucht. Mit diesen Gedanken versuchte sie sich zu trösten, es half jedoch nicht.
    »Wieso sind Sie eigentlich zu Francisco gegangen? Was wollten Sie von ihm?« Der Ton der Polizistin sollte unbekümmert klingen, doch Victoria entdeckte einen nüchternen Unterton. Die Vernehmung begann.
    Sie sah auf. »Mir war eingefallen, dass er das mit dem Parfüm an den toten Frauen nicht wissen konnte. Das hatte sogar ich vergessen. Deshalb wollte ich ihn sprechen und ihm sagen, dass ich ihm glaube, dass er unschuldig ist.«
    »Wer wusste von dem Parfüm?«
    »Nur die wirklich Beteiligten: die Polizei, der Mörder, ich.«
    »Warum Sie? Wurden Sie damit besprüht?«
    »Nein, aber ich musste mir die Fotos vom Tatort ansehen, die Sie mir ebenfalls gezeigt haben. Darauf war der Flakon abgebildet. Und Kriminalhauptkommissar Gerber, der den Fall betreute, hatte mir erzählt, dass die anderen Frauen damit eingesprüht worden seien.«
    »Gerber hat mir die Bilder zugeschickt. Wer wusste noch davon?«
    »Keine Ahnung. Der Richter sicherlich, obwohl die Marke des Parfüms nie genannt werden durfte. Ich glaube, die Parfümgeschichte wurde nur ganz am Rande erwähnt, weil sie so nebensächlich war.«
    »War die Verhandlung öffentlich?«
    »Ja, aber ohne Presse.«
    Die Kommissarin trank ihre Tasse aus. »Sind Sie soweit? Können wir anfangen?«
    »Ich dachte, wir hätten schon.«
    Die Kommissarin schmunzelte. »Das war nur zum Warmwerden.«
    Sie gingen zurück ins Vernehmungszimmer. Es gab jedoch keine Videokameras, keine Kollegen, die dabeisaßen. Die beiden Frauen blieben unter sich.
    »Wissen Sie, was mir Sorgen macht? Wo sind die fehlenden Körperteile geblieben?«
    »Das weiß ich nicht. Ich habe sie nicht.«
    »Ich weiß. Aber ich hoffte, Sie könnten mir vielleicht einen kleinen Hinweis geben, wo sie sein könnten.«
    »Woher denn?«
    Jetzt war es an der Kommissarin, mit den Schultern zu zucken. »Keine Ahnung.« Sie hatte sich nicht gesetzt, sondern lief im Zimmer auf und ab wie eine Wildkatze im Käfig.
    »Es fehlen Füße, ein Kopf und Augen. Was sagt Ihnen das?«
    »Ich weiß es nicht!«
    »Was könnte jemand damit anstellen? Außer, eine neue Frau zusammenzusetzen.«
    »Auch das weiß ich nicht. So viel irre Fantasie besitze ich nicht.«
    »Wir haben Franciscos Haus auf den Kopf gestellt, aber nichts gefunden. Auf seinem Boot ebenfalls nicht. Falls er der Mörder war, hat er die Körperteile gut versteckt.«
    »Er war es nicht.«
    Die Kommissarin seufzte. »Vermutlich nicht. Das heißt, der Killer läuft noch frei herum und wird wahrscheinlich wieder morden, wenn wir ihn nicht vorher ausfindig machen. Also, was könnte er damit anstellen?«
    »Ich weiß es nicht!« Dieses Mal wurde Victoria lauter. Sie verzweifelte langsam an diesen ewigen Fragen, auf die sie keine Antwort wusste. Und auch nicht wissen wollte.
    Lucia Hernandez spürte, dass ihr die Zeugin entglitt, und wählte einen sanfteren Tonfall. »Wir haben übrigens inzwischen das kleine Päckchen untersucht, das Ihnen Francisco geschickt haben soll. Es sind zwar keine Fingerabdrücke drauf, seine ebenfalls nicht, aber die Schrift stammt nicht von ihm. Unser Graphologe meint, es sei eine plumpe Fälschung. Er habe ein völlig anderes Schriftbild. Er war nicht der Absender.«
    Victoria atmete erneut auf. Und eine Träne stahl sich in ihre Augen. Diese Erkenntnis kam zwar zu spät für den jungen Mann, aber sie war froh, dass wenigstens sein Name reingewaschen werden konnte. »Jemand

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