Der geduldige Tod (German Edition)
hatte.
Ein Mediziner würde bei ihr vermutlich einen Schock diagnostizieren. Aber diese Erkenntnis würde ihr auch nichts nützen und ihren Zustand nicht verbessern.
Den Pass hatte sie auf den Tisch gelegt. Sie hatte ganz vergessen, ihn der Kommissarin zu geben. Der abgetrennte Kopf auf ihrem Wohnzimmertisch war noch eindrucksvoller gewesen als der Gedanke daran, das manipulierte Dokument den Behörden zu überreichen.
Victoria legte sich auf das Bett, das unter ihrer Last leise quietschte. Immerhin war der Kopf auf ihrem Tisch ein Zeichen, dass der Mörder dieses Mal etwas anderes im Sinn hatte als damals der in Deutschland. Das war zwar nur ein schwacher Trost, aber es half, die Parallelen, die sie bisher gequält hatten, zu relativieren. Was auch immer geschehen würde, es musste sich nicht unbedingt so entwickeln wie das, was sie schon einmal durchgemacht hatte.
Sie schloss die Augen und versuchte, das Bild von dem Kopf vor ihrem inneren Auge loszuwerden, indem sie an Situationen dachte, in denen sie glücklich gewesen war. Ein Urlaub in Florida mit ihrem Mann, die Geburt ihrer Nichte und ihres Neffen, die Bootstour mit Francisco. Als sie an ihn dachte, stahlen sich erneut Tränen in ihre Augen. Es war völlig unschuldig gewesen. Somit hatte der Mörder noch ein Leben auf dem Gewissen und Victoria dabei zu seiner Handlangerin gemacht. Bei diesem Gedanken wurde ihr schlecht und sie musste ins Badezimmer, um sich zu übergeben. Sie würgte zwei-, dreimal, doch außer etwas Schleim landete nicht viel im Toilettenbecken.
Schließlich schleppte sie sich zurück aufs Bett.
Sie musste etwas eingenickt sein, denn als es an der Tür klopfte, fuhr sie erschrocken auf. Draußen war es dunkel geworden. Victoria schaltete das Licht an.
»Victoria, bitte öffnen Sie die Tür. Ich bin es. Ich bin allein«, ertönte die Stimme von Lucia Hernandez.
Victoria ließ sie herein.
Die Kommissarin legte ihre Jacke ab und setzte sich auf den einzigen Stuhl am Tisch vor dem Fenster.
»Es ist nicht luxuriös, aber mehr kann sich unsere Polizei nicht leisten«, sagte sie mit spöttisch verzogenem Mund.
»Es ist völlig ausreichend«, erwiderte Victoria und überlegte, ob sie der Polizistin etwas anbieten müsste. Aber sich jetzt auf hausfrauliche Qualitäten zu besinnen, war absurd. Zudem hatte sie überhaupt nichts da. »Haben Sie etwas herausfinden können?«
»Noch nicht. Wir arbeiten daran. Ist das Ihr verschwundener Pass?« Die Frau nahm das Dokument in die Hand.
»Ja. Ich habe ihn am Hafen im Dreck gefunden. Sehen Sie sich das Bild an.«
Die Kommissarin schlug die Seite auf und zuckte kaum merklich zusammen. »Wann war das?«
»Gleich nachdem ich aus dem Kommissariat kam, bin ich zum Hafen gefahren, zu Franciscos Boot. Als ich etwas später von meinem misslungenen Bootsausflug zurückkam, sah ich einen Mann, der mich anstarrte. Als ich ihm folgen wollte, lag der Pass an der Stelle, wo er zuvor gestanden hatte.«
»Haben Sie den Mann erkennen können?«
»Nein. Er war zu weit weg.«
»Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?«
»Ich musste weglaufen, denn da kamen die anderen.«
»Welche anderen?«
Victoria zögerte. Sie war sich nicht sicher, aber vermutlich war das Mädchen mit den gefärbten Haarsträhnen Franciscos Ex-Freundin, die Tochter der Kommissarin.
»Es war eine Gruppe junger Leute, die Francisco kannten.«
Die Kommissarin verzog den Mund. »War eine junge Frau mit langen Haaren und hellen Strähnen darunter?«
»Ja. Ist sie Ihre Tochter?«
»Ja. Sie war unheimlich verliebt in Francisco und mächtig sauer auf Sie. Ich habe schon mit ihr gesprochen. Aber vermutlich hört sie nicht mehr auf ihre Mutter. Wie das halt so ist. Haben die jungen Leute Ihnen etwas getan?«
»Nein, ich war schneller.« Victoria zeigte ein halbes Lächeln.
Die Kommissarin gab es zurück. Dann schlich sich Verlegenheit in ihr Gesicht. »Es tut mir leid, dass ich neulich so ungehalten Ihnen gegenüber war, als ich Francisco in ihrer Wohnung erwischte. Ich war in dem Glauben, zwischen ihm und meiner Tochter liefe noch etwas. Aber da habe ich mich wohl geirrt.«
»Ich war auch nicht gerade zuvorkommend, was Ihre Ermittlungen betraf.«
»Nein, das waren Sie nicht. Also sind wir quitt?«
Victoria überlegte für einen Moment, dann nickte sie. »Ja, sind wir.«
»Gut. Ich bringe den Pass zur Spurensicherung. Dann komme ich wieder. Soll ich Ihnen etwas mitbringen?«
»Etwas zu essen.«
»Paella?«
»Gerne.«
Die Frau
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