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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helke Böttger
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zog ihre Jacke wieder an, dann verließ sie das Zimmer.
    Victoria blieb allein zurück. Sie setzte sich ans Fenster und beobachtete die Lichter der Stadt, die vor ihr funkelten und leuchteten, gänzlich ungerührt von den Ereignissen in Victorias Leben. Der Alltag ging weiter, als wäre sie so unwichtig wie der Fliegendreck an der Scheibe. Niemand interessierte sich für sie. Nur irgendein verrückter Mörder jagte ihr hinterher und zerstörte brutal jegliche Sicherheit, in der sie sich in ihrer neuen Heimat mittlerweile gewiegt hatte.
    Victoria musste lachen über diese Erkenntnis. Doch unter das trockene Lachen mischten sich schon wieder Tränen. Es hatte ihr zuerst nichts ausgemacht, allein in diesem fremden Land zu leben. Sie hatte die Einsamkeit gesucht, um dem Erlebten und den Menschen zu entfliehen. Doch auf einmal wurde ihr bewusst, wie einsam sie hier war. Selbst wenn sie in Deutschland von Erinnerungen geplagt leben musste und das Mitleid der anderen sie quälte, so war sie dort nie allein gewesen. Auf der Insel waren ihre einzigen Vertrauten eine kriminelle Vermieterin und eine mürrische Kriminalkommissarin. Die körperlosen Bilder in den Foren stellten keinen Ersatz für wirkliche Menschen dar. Und der Mann, der sie für kurze Zeit geliebt hatte, war tot.
    Auf einmal sehnte sie sich nach ihrer Familie, nach deren Fürsorge und Mitgefühl. Nach Menschen, die ihr zur Seite standen, egal was passierte. Aber die waren weit weg.
    Zwei Stunden später kam Lucia Hernandez zurück. Sie trug zwei Plastikteller mit lecker duftender Paella und zwei Büchsen Cola, die sie auf den Tisch stellte.
    »Ich hoffe, Sie mögen Hühnchen?«
    »Sehr gern. Sie essen mit?«
    »Ja.« Die Kommissarin merkte, dass Victoria verunsichert war. »Ich bleibe hier. Wenn Sie mich nicht im Zimmer haben wollen, setze ich mich vor die Tür. Ein irrer Killer hat es offensichtlich auf Sie abgesehen. Ich kann es nicht riskieren, Sie allein zu lassen.«
    »Danke.«
    »Das tue ich nicht nur für sie. Noch ein Mord könnte tödlich sein für unser Urlauberparadies.«
    Natürlich. Auch die mürrische Kommissarin scherte sich in Wirklichkeit nicht um Victoria, sondern lediglich um den Ruf der Insel.
    »Guten Appetit«, sagte Victoria.
    »Guten Appetit.«
    Die beiden wechselten kaum Worte während des Essens, erst als die Teller leer und die beiden Büchsen Cola getrunken waren, kam das Gespräch wieder in Gang.
    »Hat jemand einen Schlüssel zu Ihrem Apartment?«
    »Nur die Vermieterin.«
    »Hatte Francisco einen?«
    »Nein, so weit waren wir noch nicht.«
    »Waren die Fenster geschlossen?«
    »Ich weiß es nicht. Meistens schließe ich sie, bevor ich gehe. Aber ich bin mir nicht sicher.«
    »Was ist Ihnen noch aufgefallen, als Sie nach Hause kamen? Wo war Ihre Vermieterin?«
    »Sie hat mich unterwegs mit dem Auto aufgesammelt und mitgenommen.«
    »Das heißt, sie war nicht da. Der Kerl hätte also in Ruhe Ihre Tür aufknacken können.«
    »Aber er muss schon einmal dagewesen sein, als er den Pass geholt hat. Das könnte bedeuten, dass er einen Schlüssel hat. Oder zumindest einen guten Weg in die Wohnung kennt.« Der Gedanke jagte eine Gänsehaut über ihren Körper.
    »Lassen Sie Ihre Tasche manchmal unbeaufsichtigt?«
    »Nein.«
    »Und die Vermieterin? Schließt die immer ab?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Die Polizistin machte sich Notizen in einem Heft, das sie aus der Jackentasche zog. Dann wandte sie sich wieder Victoria zu.
    »Warum sind Sie nicht sofort zu uns gekommen, als Ihr Pass gestohlen wurde?«
    »Ich war mir nicht sicher, ob er wirklich weg ist.«
    »Das ist Quatsch. Sie waren sich sicher, dass er gestohlen worden war. Sie sind nur zurückgeschreckt, als es darum ging, wer ihn gestohlen haben könnte.«
    Victoria dachte an ihren Verdacht gegen Francisco und an die Hehlerei ihrer Vermieterin. »Um ehrlich zu sein, haben Sie mir nicht den Eindruck einer objektiven Ermittlerin gemacht. Sie behandelten mich wie eine Verdächtige, daher hatte ich kein Vertrauen zu Ihnen.«
    »Ich musste alle Seiten gründlich abklopfen und untersuchen. Dazu gehörten Sie nun einmal.«
    »Und niemand hat gerne etwas mit der Polizei zu tun. Das ist in einem fremden Land noch schlimmer als zu Hause.«
     »Ich weiß. Auf der anderen Seite zu stehen, ist nicht angenehm.«
    »Sie haben mich nicht gerade spüren lassen, dass Sie das nachvollziehen können.« Victoria war froh, dass sie endlich mal loswerden konnte, wie schrecklich sie die Behandlung seitens der

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