Der geduldige Tod (German Edition)
Kriminalkommissarin fand.
»Ich bin auch nicht Ihr Therapeut, so dass ich Sie nicht mit Samthandschuhen anfassen muss. Aber ich weiß, wie es ist, so behandelt zu werden. Ich befand mich auch schon einmal auf der anderen Seite des Gesetzes.«
»Was war passiert?«
»Ich habe jemanden umgebracht.«
Victoria klappte die Kinnlade runter. »Im Dienst?«, fragte sie vorsichtshalber. Sie merkte, wie unruhig sie auf einmal wieder wurde.
»Nein. Zu Hause. Ich habe meinen Mann erschossen.«
»Oh Gott.«
»Er hatte mich regelmäßig geschlagen, so dass ich zwei Fehlgeburten erlitt. Ich war damals noch Streifenpolizistin. Eines Tages, als er sich mit dem Küchenstuhl auf meine Tochter stürzen wollte, habe ich meinen Revolver gezogen und abgedrückt.«
Sie erzählte es so, als würde sie die Handlung eines Filmes wiedergeben. Völlig emotionslos.
»Was ist dann passiert?«
»Es war Notwehr. Ich wurde zunächst suspendiert, aber dann wieder zum Dienst zugelassen. Daraufhin habe ich mich für ein Aufbaustudium entschlossen und bin Kriminalkommissarin geworden. Ich wollte Bürodienst leisten und nicht auch noch in meinem Job gezwungen werden, jemanden zu töten. Ich hoffe, das bleibt so.«
»Denken Sie manchmal an ihn?«
»Jedes Mal, wenn ich die Narben des schlecht verheilten, offenen Bruches am Schienbein sehe, den ich ihm verdankte, und wenn mir bewusst wird, dass meine Tochter nur deshalb ein Einzelkind ist, weil mir wegen ihm die Gebärmutter entfernt werden musste. – Ja, ich denke an ihn. Öfter als mir lieb ist.«
»Es tut mir leid.«
Die Kommissarin schwieg.
»Mein Psychiater sagt immer, dass man nichts und niemandem die Macht geben sollte, über unser Leben zu entscheiden. Auch nicht der Angst. Und erst recht nicht schlechten Erinnerungen«, sagte Victoria.
»Ihr Psychiater ist ein schlauer Mann.«
»Ja, er ist gut, er hat mir sehr geholfen.« Auf einmal fiel Victoria etwas ein. »Ich habe ihm von dem Parfüm erzählt!«
Mit einem Schlag war die Kommissarin hellwach. »Was genau haben Sie ihm erzählt?«
»Alles. Ihm habe ich alles erzählt. Oh Gott.« Sie schlug vor Entsetzen die Hand vor ihren Mund.
»Wem noch?«
»Niemandem.«
»Überlegen Sie!«
Noch ein Groschen fiel. »Meinem Mann!«
»Noch jemandem?«
Victoria überlegte fieberhaft. »Es waren zwei! Zwei Psychiater! Ich war zuerst bei einem jüngeren Mann, mit dem ich aber nicht klarkam. Dann erst kam ich zu Doktor Jericho.«
»Geben Sie mir den Namen des ersten.«
Sie musste einen Moment überlegen. »Eckehard Grabow, glaube ich.«
Die Polizistin notierte sich beide Namen.
»Wer weiß noch davon?«
Victoria überlegte angestrengt, aber mehr Personen fielen ihr beim besten Willen nicht ein. Ihre Eltern und ihre Schwester hatte sie damit verschont. Und sonst stand ihr niemand so nahe, dass sie ihm so etwas anvertraut hätte.
Die Kommissarin sah auf die Uhr. Es war inzwischen weit nach Mitternacht.
»Sobald es in Deutschland Morgen wird, rufe ich die deutschen Behörden an, kümmere mich um eine Zusammenarbeit und versuche, die Psychiater und Ihren Mann zu sprechen.«
»Ex-Mann.«
»Also schön, Ex-Mann. In der Zwischenzeit versuchen Sie ein wenig zu schlafen. Soll ich draußen sitzen oder hier?«
Victoria überlegte einen Moment, dann entschied sie sich dafür, die Kommissarin in ihrer Nähe im Hotelzimmer zu dulden.
***
Die Sonne hatte kaum die östlichen Bergspitzen erstiegen, da wählte Kommissarin Lucia Hernandez die Telefonnummer von Dr. Jericho, die sie von Victoria erhalten hatte. Ihr Anzug knitterte, ihr Gesicht schien sich dem anpassen zu wollen, aber sie gab sich Mühe, nicht zu zeigen, wie müde und erschöpft sie sich nach dieser auf einem Stuhl verbrachten Nacht fühlte.
Victoria hatte zwar ebenfalls kaum geschlafen, aber sie fühlte sich nicht ganz so groggy, da sie immerhin auf dem Bett liegen konnte und hin und wieder weggenickt war. Nach Sonnenaufgang hatte sie sich im Bad kurz erfrischt, bevor sie sich zur Kommissarin gesellte, die den Telefonhörer in der Hand hielt.
Es klingelte viermal unter dem privaten Anschluss des Psychiaters, dann meldete sich ein Anrufbeantworter.
Die Kommissarin hinterließ die Bitte, sie zurückzurufen, danach wählte sie die Nummer seiner Praxis. Eine Frauenstimme meldete sich.
»Ich hätte gern mit Doktor Jericho gesprochen«, sagte die Polizistin nach einer kurzen Begrüßung.
»Der ist nicht da«, erwiderte die Frau, »kann ich etwas ausrichten?«
»Ja, er möge
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