Der gefaehrliche Verehrer
die Arme um ihre Schwester. In ihrem schlichten weißen Hausmantel kam Deborah ihr noch immer wie zwölf vor. Es gab niemanden, den Cilla mehr liebte. »Bloß noch ein harmloser Verrückter in einer irren Welt.«
»Er klang nicht harmlos, Cilla.« Obwohl sie ein ganzes Stück kleiner war, hielt Deborah Cilla fest. Es gab eine Ähnlichkeit zwischen ihnen – um den Mund. Beide hatten einen vollen, leidenschaftlichen und störrischen Mund. Doch Deborahs Züge waren weicher, runder, nicht so eckig. Ihre Augen mit den dichten Wimpern waren von einem leuchtenden Blau. Jetzt waren sie von Sorge erfüllt. »Ich finde, du solltest die Polizei verständigen.«
»Die Polizei?« Weil ihr diese Möglichkeit überhaupt nicht in den Sinn gekommen war, konnte Cilla lachen. »Ein obszöner Anruf, und du willst mich zu den Cops jagen? Für was für eine Sorte Frau der neunziger Jahre hältst du mich eigentlich?«
Deborah rammte ihre Hände in ihre Taschen. »Das ist kein Scherz.«
»Okay, es ist kein Scherz. Aber, Deb, wir wissen doch beide, wie wenig die Polizei wegen eines hässlichen Anrufs bei einem Radiosender mitten in der Nacht unternehmen kann.«
Mit einem ungeduldigen Seufzer wandte Deborah sich ab. »Er hat wirklich gefährlich geklungen. Es hat mir Angst eingejagt.«
»Mir auch.«
Deborahs Lachen kam rasch und klang nur ein bisschen gepresst. »Du hast nie Angst.«
Ich habe immer Angst, dachte Cilla, lächelte jedoch. »Diesmal schon. Es ist mir so in die Knochen gefahren, dass ich den Verzögerungsschalter nicht rechtzeitig gedrückt habe, sodass der Anruf über den Sender ging.« Flüchtig überlegte sie, was für einen Anpfiff sie für diesen kleinen Fehler am nächsten Tag bekommen würde. »Aber er hat nicht noch einmal angerufen, was beweist, dass es eine einmalige Angelegenheit war. Geh ins Bett.« Sie strich über die dunklen, zerzausten Haare ihrer kleinen Schwester. »Du wirst nie die beste Anwältin von Colorado, wenn du die ganze Nacht wach bleibst.«
»Ich gehe, wenn du gehst.«
Obwohl sie genau wusste, dass es noch einige Stunden dauern würde, bis ihr Geist und ihr Körper sich beruhigt hatten, legte Cilla einen Arm um Deborahs Schultern. »Abgemacht.«
Er hielt den Raum dunkel, abgesehen von ein paar klecksenden Kerzen. Er mochte ihr mystisches, spirituelles Leuchten und ihren träumerisch religiösen Duft. Der Raum war klein, aber er war voll von Erinnerungsstücken – Trophäen aus seiner Vergangenheit. Briefe, Schnappschüsse, eine Sammlung von kleinen Porzellantieren, vergilbte Bänder. Ein Jagdmesser mit einer langen Klinge lag über seinen Knien, schimmerte matt in dem flackernden Licht. Eine gut geölte 45er Automatik lag neben seinem Ellbogen auf einem gestärkten Häkeldeckchen.
In seiner Hand hielt er ein Foto in einem Rosenholzrahmen. Er starrte darauf, sprach damit, weinte bittere Tränen. Das war der einzige Mensch, den er je geliebt hatte, und alles, was ihm geblieben war, war dieses Bild, das er an seine Brust drückte.
John. Unschuldiger, vertrauensseliger John. Betrogen von einer Frau. Benutzt von einer Frau. Verraten von einer Frau.
Liebe und Hass verschmolzen miteinander, während er sich vor und zurück wiegte. Sie würde bezahlen. Sie würde den höchsten Preis bezahlen. Aber zuerst wollte er sie leiden lassen.
Der Anruf – ein einzelner hässlicher Anruf – kam nun jede Nacht. Am Ende der Woche war Cilla vollkommen zermürbt. Sie konnte nicht mehr darüber scherzen, weder in der Sendung noch außerhalb. Sie war nur dankbar, dass sie inzwischen seine Stimme erkannte, diese raue, zum Zerreißen angespannte Stimme voller unterschwelliger Wut, und sie unterbrach die Verbindung schon nach den ersten Worten.
Dann saß sie da, gepeinigt von dem Wissen, dass er wieder anrufen würde, dass er da war, am anderen Ende der Leitung als eines dieser blinkenden Lichter, bereit, sie zu quälen.
Was hatte sie bloß getan?
Nachdem sie um zwei Uhr nachts die aufgezeichneten Nachrichten und die Werbespots eingelegt hatte, stützte Cilla ihre Ellbogen auf den Tisch und ließ den Kopf in ihre Hände sinken. Sie schlief selten gut und tief, und in der letzten Woche hatte sie kaum richtig geschlafen. Sie wusste, dass man es allmählich merkte, an ihren Nerven, ihrer Konzentration.
Was hatte sie bloß getan?
Die Frage verfolgte sie. Was konnte sie getan haben, dass jemand sie hasste? Sie hatte den Hass in seiner Stimme erkannt, einen tief sitzenden Hass. Sie wusste, dass sie manchmal
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