Der Gefangene der Wüste
gehüllten Achmed. Der alte Kebir folgte ihm mit lautem, leierndem Gesang. Léon Boucher stellte die Propeller auf halbe Kraft, sprang aus der Kanzel und schob eine neue Trage hinaus. Auf sie schnallte Bender den schlafenden Ali und hob ihn dann neben Cathérine in den Hubschrauber. Der alte Kebir segnete zum letztenmal den Kranken.
»Allah wird dir helfen!« schrie er in die Glaskanzel.
»Und der Chirurg Dr. Lafont!« schrie Bender zurück. Er saß auf einem Klappschemel zwischen den beiden Tragen, eingeklemmt fast, wie umklammert von den beiden Sterbenden. Boucher zog die Tür zu, die Rotorflügel kreischten auf und wirbelten durch die Luft, den alten Kebir riß der Windstoß von den Beinen, er rollte über den Sand und kroch dann auf allen vieren davon, umwirbelt von einer Staubwolke.
Senkrecht stieg der Hubschrauber in die Höhe, überflog dann den Garten Alis und schwirrte wie ein Rieseninsekt davon, nach Norden, quer über die einsamste Wüste dieser Welt … nach Algier, der weißen Stadt am Meer.
Léon Boucher sah sich um, als sie über den trostlosen Erg Tifernine flogen. Unter ihnen tauchten die Außenstellen der Bohr-Camps auf … Suchbohrungen mitten im Sand. Ein Bohrturm, ein paar Zelte, Lastwagen unter Planen, eine Handvoll Männer in glühender Hitze. Der härteste Job dieser Erde.
»Noch nicht die Nase voll von der Wüste, Doktor?« rief er Dr. Bender zu. »Navrimont hat mir mit wenigen Worten erzählt, was man mit Ihnen angestellt hat. Serrat ist ein Schwein! Man sollte ihn aufhängen! Glauben Sie, Navrimont hat von allem nur die Hälfte gewußt, und von der auch nur Bruchstücke. Er ist ein versoffenes Wrack. Nehmen Sie ihm nichts übel –«
»Ich nehme keinem etwas übel.« Bender beugte sich über Cathérine. Sie hatte ein Kindergesicht bekommen, schmal, klein, erbärmlich klein. In ihre Armvene tropfte Plasma … der kleine Italiener hielt die Flasche hoch, als sei sein Arm aus Eisen. Aber nutzte es noch etwas?
»Serrat ist reif für lebenslänglich!« Boucher zeigte auf Cathérine. »Wenn sie stirbt, gibt es mindestens 70 Männer, die ihn mit dem Kopf zuerst in den Sand graben.«
»Ich auch!« sagte der kleine Italiener hinter Bender. »Cathérine gehörte uns allen. Nur Ihnen hätten wir sie gegönnt, dottore. Aber auch nicht gern. Für uns war Cathérine die Heimat, verstehen Sie das, dottore?«
Dr. Bender nickte. Er blickte auf das vergehende, schmale Gesicht und war zum erstenmal in seinem Leben bereit, wider alle medizinische Vernunft zu bitten: »Herrgott, laß sie leben …«
»Was hat Serrat mit ihr zu tun?« rief er dann in den Motorenlärm hinein. »Er war doch längst weg, als sie mit dem Gepard kämpfte.«
»Er hatte die Weiber gegeneinander aufgehetzt.« Der kleine Italiener knirschte laut mit den Zähnen. »Er hat Raubtiere aus ihnen gemacht! Und alles Ihretwegen, dottore. Ich mag Sie gern … aber wären Sie doch nie in die Wüste gekommen! Sie gehören nicht hierher! Solange die Hölle eben eine Hölle ist, fühlt sich alles wohl in ihr! Aber was geschieht, wenn ein Engel in die Hölle kommt? Können Sie das verstehen, dottore?«
»Ich verstehe euch sehr gut.« Dr. Bender nahm die schlaffe Hand Cathérines und tastete nach ihrem Puls. Er war kaum noch fühlbar. »Und ich verspreche euch, nicht mehr in die Wüste zurückzukommen, wenn ich Saada gefunden habe und Cathérine überlebt.«
»Und wenn sie stirbt?« fragte Boucher ahnungsvoll.
»Dann komme ich wieder … dann habt ihr mich für euer ganzes Leben lang! Cathérine kann ich euch nicht ersetzen … aber zu euch werde ich gehören. Nicht als Engel, mein kleiner Sizilianer … sondern als Verfluchter in der Hölle!«
Boucher grinste verlegen. »Sie haben sich verändert, Doktor«, sagte er heiser. »Denken Sie noch daran, was ich Ihnen beim ersten Flug sagte? Kehren Sie sofort mit mir um … dieses Land frißt Sie auf. Ich sage es jetzt wieder: Bleiben Sie in Algier … noch ist es Zeit genug.«
»Nein, Léon.« Bender schüttelte heftig den Kopf. »Die Zeit ist um! Wir belügen uns ja alle! Wir wissen jeder, wie es steht. Ich bin ein Teil der Wüste geworden –«
Der Hubschrauber zog brummend nach Norden, über unendliche Sanddünen, Geröllhalden, kahle, gelb-braune Berge, Wadis und Schotts.
In der Nacht landeten sie auf dem Militärflughafen von Algier. Boucher hatte per Funk alles organisiert … als sie auf dem Boden aufsetzten, wartete bereits ein Ambulanzwagen der Armee auf sie. Mit heulenden
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