Der Gefangene der Wüste
Sirenen raste er davon zum Hospital. Dr. Bender ließ man auf dem Flugfeld stehen, als sei er ein Teil des Hubschraubers. Die Sanitäter hatten ihn nicht einmal begrüßt. Sie hatten die beiden Tragen aus der Glaskanzel geholt, in den Wagen geschoben, und nur dem kleinen Italiener gelang es, mitzukommen, weil er mit einem Satz neben Cathérine in den Ambulanzwagen sprang, bevor die Tür zufiel.
Léon Boucher bot Dr. Bender eine Zigarette an.
»Auch das ist Afrika«, sagte er bitter. »Es bleibt ein ewiges Rätsel. Wir bohren das Öl, wir bringen ihnen Milliarden, wir haben ihre Städte gebaut, ihre Krankenhäuser, ihre Industrie, ihre Hygiene, wir haben saniert und alles, wirklich alles für sie getan, wir haben die Häfen ausgebaut, den Handel angekurbelt, Straßen durch die Wüste gelegt, Brunnen erbohrt mit bestem, klarem Wasser, wir haben ihnen unsere Architekten gegeben, unsere Wissenschaftler, alle Fachleute, unsere Ärzte … und doch bleiben wir gehaßt, weil wir Weiße sind. Mein Gott, was müssen unsere Väter und Vorväter getan haben, um dieses Gebirge von Haß aufzutürmen?!«
»Vielleicht nur das, daß sie Menschen nach ihrem Muster schaffen wollten. Das ist immer ein Fehler, Léon. Immer will der Mensch erziehen und umerziehen … er will den Einheitsmenschen. Den Superstar seiner Rasse!«
»Da haben Sie recht, Doktor.« Boucher sah dem Rauch seiner Zigarette nach. »Ich rufe Ihnen eine Taxe. Fahren Sie zum Krankenhaus. Dort wird man Sie anders behandeln.«
»Ja, zum Krankenhaus.« Bender wischte über sein Gesicht. Es war dreckverkrustet und knirschte, als er darüberfuhr. »Und dann suche ich Serrat –«
Boucher hob die Schultern. Ihm war plötzlich eiskalt im Rücken.
»Ich bleibe bei Ihnen, Doktor«, sagte er frostig. »Gegen Serrat sind Sie allein verloren.«
»Jetzt nicht mehr.« Dr. Bender atmete tief auf. »Lassen Sie mich das allein besorgen, Léon. Ich habe schon zuviel mit hineingerissen. Eine Taxe … das ist alles, was Sie noch für mich tun können.«
Und dann saß er in dem alten Renault, ein algerischer Fahrer grinste ihn an und sagte auf französisch: »Wohin, monsieur? Schöne Mädchen? Weiß ich ganz schöne Mädchen! Oder hübsche Jungen? Was Sie wollen, monsieur …«
»Zum Krankenhaus der Armee.« Dr. Bender beugte sich vor. »Und du bekommst fünf Dinare extra, wenn du jetzt den Mund hältst, mein Junge –«
Wie eine Rakete schoß der kleine Wagen durch die nächtlichen Straßen Algiers. So wie er fuhr, war es fast Mord. Dr. Bender schloß die Augen und lehnte sich zurück.
Niemand hätte sagen können, daß Ali Hadschar seine Tanz- und Liebesmädchen in Höhlen aufbewahrte, ihnen nichts zu essen gab oder daß sie sonst wie Ungeziefer leben mußten. Das Gegenteil war der Fall.
Der Komplex, den Hadschar für seine Barbetriebe gekauft und ausgebaut hatte, umfaßte einen ganzen Häuserblock mitten in Annaba. Von der Eingangsseite sah man nicht, wie weit verzweigt sich die Gebäude nach hinten fortsetzten. Zur Straße hin leuchteten die riesigen Neonreklamen, die ein Vergnügen an Tanz und schönen Mädchen versprachen; in großen Schaukästen waren die herrlichsten Mädchenkörper abgebildet, nackt natürlich, aber um der öffentlichen Sittlichkeit zu genügen, trugen die Fotos schwarze Balken über Brüsten und Unterleib. Jeder wußte, daß die Mädchen in Hadschars Räumen diese Balken nicht trugen, man flüsterte sich Erlebnisse besonderer Art zu, die in bestimmten Hinterzimmern gegen Aufpreis verabreicht wurden, und es schien überhaupt nichts zu geben, was Hadschar nicht mit seinem Personal möglich machte, von der einfachen, schnellen Seemannsliebe bis zum ausgefallensten Wunsch eines reichen, perversen Gastes.
Ab und zu fanden Polizeikontrollen statt, – man war dazu verpflichtet, denn Algerien sollte ein sauberes Land sein, nur die Franzosen hatten den sexuellen Sumpf hineingetragen. Aber Hadschar hatte keine Angst vor den Beamten. Die Kontrollen endeten immer in seinem Büro, bevor die Polizisten überhaupt den verschachtelten Häuserblock erreicht hatten, der hinter der bunten Fassade begann. Hier, in tiefen Sesseln, bekamen die Polizeioffiziere und seine Mannen herrlichen Kaffee serviert; aber nicht der Kaffee begeisterte sie, sondern wie er aufgetragen wurde … von nackten, besonders schön gewachsenen Mädchen, die bei den Besuchern sitzen blieben, bis der letzte Tropfen getrunken war.
In diesem für Fremde undurchdringlichen Dschungel von in- und
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