Der Gefangene der Wüste
sogar, wenn auch knirschend wie hundert Männer, die sich auf die Zähne bissen. Molnar jubelte laut, er hieb auf das Steuerrad und benahm sich wie ein Irrer.
Er fährt … er fährt – ich werde den Doktor erreichen! Ich komme nach Bou Akbir.
O Gott, mein Gott, mein lieber Gott … laß Cathérine noch leben …
Nach einer Stunde erreichte Molnar die Oase. Ein Gewimmel von Menschen empfing ihn. Das große Aufräumen hatte begonnen.
Man grub Bou Akbir aus dem Sand.
Nachdem sie den Salzsee Schott Djerid verlassen hatten und auf die gut ausgebaute Straße nach Gafsa gekommen waren, ließen die Mädchen von Saada ab. Es war auch nicht mehr nötig. Die katzenhafte Stärke ihrer Gefährtinnen besiegte Saada völlig. Eingeklemmt zwischen den anderen, hockte sie in dem großen Wagen und starrte auf die Wüstenberge. Ali Hadschar, ihr neuer Herr, beobachtete sie im Rückspiegel, während er fuhr.
Sie ist ein wirkliches Kapital, dachte er. Sie ist das schönste Mädchen, das ich je eingekauft habe. Mit ihr werde ich in Annaba das ganz große Geschäft machen.
Angst, daß Saada ihm fortlaufen oder Gäste alarmieren könnte, hatte er nicht. Noch kannte Saada nicht seine Methoden, die Mädchen zum Schweigen und zum Gehorsam zu zwingen; noch wußte sie nicht, was sie in der Bar erwartete, daß sie ein rechtloses Stück schönen Fleisches war, das jeder genoß, der dafür bezahlte. Ein Stück praller Sinnenlust, dessen Klagen keiner hören wollte. Wer zu Ali in die Hinterzimmer kam, für den war ein schönes Mädchen kein Mensch mehr, sondern nur ein Objekt seiner Geilheit.
Ali Hadschar hielt kurz vor der Stadt Gafsa an und wandte sich zu Saada um. Sein Glatzkopf leuchtete in der Sonne.
»Wir kommen gleich nach Gafsa«, sagte er, »und dann fahren wir weiter zur Küste nach Gabès. Es hat keinen Zweck, Polizisten zu rufen oder sich zu benehmen wie eine Irre … Keiner würde dich beachten, die meisten Polizisten kennen mich, und es wäre nicht gut für deine Samthaut, wenn ich die Peitsche gebrauche. Verstehen wir uns?«
Saada sah an Ali vorbei wie an einem Haufen Unrat. »Mein Vater wird mich suchen und finden«, sagte sie stolz. »Und dann wird er dir den Kopf abschlagen.«
»Wo soll er suchen?« Hadschar lachte heiser. »Wie kann ein Mensch ahnen, welchen Weg du nimmst? Wir sind in Tunis und kehren nach Algerien zurück. Das wird niemand herausfinden.«
»Sie werden es!« sagte Saada fest. »Ich glaube an meinen weißen Hakim.«
Ali fuhr weiter. Der Deutsche lag ihm wie ein Stein im Magen. Aber dann beruhigte er sich selbst. Den Weg, den er mit seinen Mädchen nahm, war die ausgeklügeltste Route, die es nur gab. Nicht eine Spur würde es geben, nicht einen Hauch von Verdacht.
Was ist ein einzelner, kleiner Mensch in der Weite Afrikas? Eher findet man eine Perle in einem Urwald –
Saada merkte sich den Weg genau. Sie blieb ruhig, als sie schnell Gafsa durchfuhren und abbogen auf die breite Staatsstraße nach Gabès. Am Abend erreichten sie die Hafenstadt, fuhren direkt zum Hafen und hielten an einem Pier, an dem eine schmucke, weiße Jacht lag. Hadschar stieg aus und grunzte zufrieden. Die anderen Mädchen klatschten begeistert in die Hände. Für sie war diese Reise in ein neues Leben wie ein Wunder.
Die große Stadt. Das blaue Meer. Das weiße Schiff. Der Reichtum, der überall auf sie eindrang. Die Autos. Die Fülle an Lebensmitteln.
Eine Welt voll Wunder, wenn man aus der tiefsten Wüste kam, aus den gebleichten Felsen, aus Dörfern, in denen eine Kanne voll klaren Wassers schon einen Schatz bedeutete.
Saada stieg aus und sah sich um. Auch sie war zum erstenmal am Meer, und es faszinierte sie. Die unendliche Wasserfläche war unbegreiflich. Die Schiffe, die darauf herumfuhren, das turbulente Leben im Hafen, die großen Steinhäuser, der Reichtum … alles war auch ihr wie ein wahrgewordenes Märchen. Aber gleichzeitig begriff sie, daß diese neue Welt nur Schein war, daß sie eine Sklavin geworden war, über die diese Welt herfallen durfte, weil sie dafür bezahlte, daß dieses Märchen tödlich war und sie daran zerbrechen würde.
Sie zögerte nur ein paar Sekunden … es waren die Augenblicke, in denen drei Helfer Hadschars das Gepäck ausluden und zwei Mädchen schon über die schmale Gangway auf das weiße Schiff gingen … dann machte sie zwei weite, katzenhafte Sätze zum Quai und warf sich mit ausgebreiteten Armen in das Meer.
Ali stieß einen dumpfen Schrei aus.
»Rettet sie!« brüllte er
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