Der Gefangene der Wüste
heißen Atem des Sturmes. Er hörte das alles, denn er kannte die Gewalt dieser Sandflut, aber er wagte nicht, den Kopf zu heben oder gar aufzustehen und hinauszublicken in das Chaos, das über seine Oase hinwegfegte. In der Gebetsecke seines großen prunkvollen Raumes lag er nun wie ein armseliges Häuflein Lumpen, mit geschlossenen Augen, Allah um Gnade anflehend und um Vergebung aller Sünden, die er in seinem Leben auf sich geladen hatte.
Seine Diener hatten sich verkrochen … in die Keller, in die festen Ställe, irgendwo in dem weiten Haus, wo der Sturm sie nicht fassen konnte. Die edlen Pferde standen still in ihren Boxen, die Köpfe gesenkt, die Ohren gespitzt, und lauschten auf das Heulen des Windes. Sie waren Kinder der Wüste, aufgewachsen mit allen Schrecken dieses glühenden, mörderischen Landes. Sie wußten: Weglaufen hat keinen Sinn, es bedeutet den sicheren Tod. Solange die Wände halten, solange ein Dach über ihnen ist, waren sie sicher. Der Sand, der durch die Ritzen und Türen hereinwehte, war ihre Heimat. Aber ihre großen, runden Augen blieben wachsam, ihre Ohren registrierten jeden Laut, die Nüstern waren gebläht.
In der Oase erstarb alles Leben. Bis auf Dr. Bender, der an die Mauer gepreßt mitten im Sturm lag, gab es nichts Lebendes mehr auf den Straßen. Nur ein Hund, ein kleiner struppiger Kerl, braun mit weißen Flecken, ein krummbeiniger, häßlicher Kerl, irgendwo in einer Ecke dieser Oase geboren, ohne Heimat, weggejagt von allen Türen, ein armseliges Wesen, ausgestoßen wie Dr. Bender, irrte im Windschatten der Wand herum, kroch von Stein zu Stein und suchte Schutz. So traf er auf den liegenden, halb zugewehten Menschen, beschnupperte ihn, erkannte ihn als lebendes Wesen und preßte sich in seiner großen Not an ihn.
Bender hob den Kopf und zog den kleinen Hund an sich. Er schob ihn zwischen seine Arme, drückte ihn vor sein Gesicht, vergrub seinen Kopf in das harte, struppige, sanddurchsetzte Fell und spürte das wilde Zittern der ängstlichen Kreatur.
»Ruhig, mein Kleiner«, keuchte Bender durch den Zipfel seines nassen Hemdes und umarmte den leise wimmernden Hund. »Ganz ruhig … wir überleben … es geschieht uns nichts … Bastarde sind zäh … Wir wollen doch leben, was?«
Ein neuer Sturmstoß drückte sie gegen die Mauer. Es war Bender, als stürze ein Sandgebirge über ihn, die Luft blieb weg. Irgendwo mußte ein Vakuum entstanden sein … er riß den Kopf hoch und machte den Mund weit auf, auch wenn ihm der Sand bis in die Kehle wehte.
Luft – Luft – Mein Gott – Luft! Ich will nicht ersticken … ich will leben … leben –
Dann war auch diese schreckliche Sekunde vorbei … er atmete durch und fand die Luft köstlich, wie mit herrlichem Duft durchsetzt. Der Wind hatte ebenso plötzlich nachgelassen, wie er gekommen war, nur eine Staubwolke senkte sich noch über die Oase, Nachhut einer tödlichen Vernichtung.
Dr. Bender schob sich auf die Knie und preßte den kleinen, häßlichen Hund an sich. Das krummbeinige Kerlchen sah ihn an aus weiten, tiefbraunen, sprechenden Augen, dann leckte es ihm die Hand und drückte die spitze Schnauze an seine Halsbeuge.
Eine unendliche Zärtlichkeit überkam Dr. Bender. Er drückte den Hund fester an sich und streichelte mit zitternden Händen das struppige Fell.
»Wir leben, mein Junge«, sagte er leise. Seine Stimme war tonlos, wie vom Sand aufgesogen. »Tatsächlich, wir haben es geschafft. Wir Ausgestoßenen leben weiter.« Er hob den kleinen Hund hoch und lachte ihn an, und der struppige, häßliche Kerl spürte die Freude des Menschen und gab ein helles Bellen von sich und strampelte mit allen Beinchen.
»Was nun?« sagte Bender, als sie zusammen an der Mauer saßen. Die Oase Bou Akbir hatte ihre Schönheit verloren. Die Gärten waren versandet, die Felder verwüstet, vor den Häusern türmten sich Sandberge, am Rande hatten sich neue Dünen aufgetürmt, die Palmenreihen der Außenwälder ragten nur noch mit den Wipfeln oder bis zur Hälfte verschüttet aus den neu gebildeten Sandbergen. Noch regte sich nichts im Ort … Menschen und Tiere blieben verkrochen, man traute dem plötzlichen Frieden der Natur nicht. »Bleiben wir zusammen?«
Der kleine Hund leckte wieder die Hand Benders. Es war seine Antwort. Du bist mein Herr. Ich folge dir. Wir sind die einsamsten Wesen auf der Welt. Keiner will uns … wir haben nur uns selbst –
»Gehen wir«, sagte Bender und klopfte den Sand aus seinem Anzug. »Suchen wir
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