Der Gefangene der Wüste
uns was zum Essen. Betteln liegt mir nicht … da ist Klauen schon angenehmer. Komm, Ludwig …« Er blieb stehen, als der kleine krummbeinige Hund an der Mauer verharrte. »Ja, du bist gemeint. Du heißt ab heute Ludwig.« Er ging in die Hocke und hielt die Hand auf. »Komm her, Ludwig … wir wollen stehlen gehen. Das wird jetzt unser Leben sein, bis ein Wunder kommt. Wir gehen nicht unter, Ludwig, wir nicht! Komm –«
Er wandte sich ab und ging zurück in die Oase. Er blickte sich nicht um, aber er wußte, daß der kleine Hund ihm nachdenklich nachschaute. Dann lächelte Dr. Bender … neben ihm tauchte ein tappendes Knäuel auf und blieb an seiner Seite. Ludwig hatte endlich seinen Herrn gefunden.
Auf dem Markt waren die Stände umgekippt und voller Sand. Kein Mensch war zu sehen. Dr. Bender knüpfte aus seinem Hemd eine Art Tasche und packte hinein, was herumlag.
Obst. Datteln. Fladen aus Wildweizen. Eine Blechkanne voll Limonade. Ein Beutel Maismehl. Tomaten. Eine Wassermelone.
Alles war mit feinstem Sand paniert … aber wer Hunger hat, den stört nicht das Knirschen zwischen den Zähnen. Ludwig entwickelte eine feine Nase … er kam aus einem zusammengebrochenen Stand mit einem Stück Hammelfleisch wieder und rannte Bender voraus zurück zum Rand der Oase.
Weg von den Menschen. Heute ist Feiertag.
Ein großes Stück Fleisch!
O Allah, du liebst auch die Kreatur –
Dr. Bender folgte ihm, den Hemdensack mit seinen Schätzen über die Schulter geworfen. In einem alten, verfallenen Ziegenstall am Rande eines Wadis, eines ausgetrockneten Flußbettes, in dem nie ein Tropfen gelaufen war, solange man in Bou Akbir denken konnte, fand er ein Quartier und packte sein zusammengestohlenes Leben aus. Ein Häufchen Essen … es kann für vier Tage reichen, rechnete er.
Und dann?
Neben ihm, auf der Erde, schmatzte Ludwig.
Die Welt war so klein geworden wie ein Stück Hammelfleisch.
In seiner Gebetsecke war Ali ben Achmed zusammengebrochen.
Er lag, die Hände auf den Magen gedrückt, auf dem Rücken und stöhnte laut. Ganz plötzlich war das gekommen … mitten im Gebet, im Heulen des Sandsturmes, überkam ihn eine schreckliche Übelkeit, dann durchjagten Stiche seinen Leib, er hatte das Gefühl, jemand spalte seinen Magen mit einer glühenden Klinge auf, er schrie auf und fiel auf den Rücken.
Das ist die Angst, dachte er. Die Angst, vom Sand begraben zu werden. Die Angst vor dem Tod! Sie zerfrißt mich, sie zerreißt mich. O Allah, verzeih, ich bin ein Sünder!
Aber als der Sturm nachließ – Achmed hörte es an dem leiseren Brausen der Sandwolken – blieb der bohrende, stechende Schmerz in seinem Leib. Im Gegenteil, etwas Neues kam hinzu: In seinen Eingeweiden schien Feuer auszubrechen. Er heulte laut auf, wälzte sich auf dem Gebetsteppich, und kalter Schweiß bedeckte in Sekundenschnelle seinen ganzen Körper.
So trafen ihn seine Diener an, als sie aus ihren Verstecken hervorkrochen und stumm vor dem Untergang des prächtigen Gartens standen.
»Holt Jussuf –«, heulte Ali ben Achmed und schwankte, gestützt durch zwei Diener, zu seinem Diwan. »Schnell … holt ihn …« Dann sank er in die Kissen, hielt sich wieder den Magen und würgte, als müsse er sich erbrechen.
Jussuf kam nach zwanzig Minuten. Er war ein verknitterter Mann mit einem Spitzbart, der früher als Sanitäter bei der Freiheitsarmee gedient hatte und sich als Arzt ausgab. Was er konnte, hatte er den Militärärzten abgeguckt, und das war sehr wenig, wenn es um Innere Medizin ging. Verbände konnte er machen, auch eine Wundversorgung, doch vor Krankheiten, die man nicht sah, war er machtlos. Ein Schuß ins Bein … das war etwas Reelles … aber Krämpfe im Magen, da konnte man nur raten.
Er untersuchte Ali ben Achmed, klopfte auf den Magen, was Ali zu lauten Schreien reizte, öffnete dann seinen Koffer und entnahm ihm einige Instrumente, die Achmed mit tiefliegenden, flatternden Augen betrachtete.
»Was ist es, Jussuf?« stöhnte er. »O Allah, ich verbrenne innerlich …«
»Im Darm ist ein Überdruck«, sagte Jussuf weise. »Wir nehmen ihn weg, Ali. Nur ruhig Blut.«
Was Jussuf tat, war entwürdigend, aber Achmed hatte keinen Sinn mehr für Würde. Er kämpfte gegen eine Ohnmacht an, so jagte der Schmerz durch seinen Körper. Er drehte sich auf die Seite, ließ seine Kleidung hochheben, und Jussuf gab ihm nach guter alter Militärarzt-Manier zunächst ein Klistier.
Es war Achmed, als zerplatze er. Er brüllte auf, und als
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