Der gefangene Stern
neben einem Gebäude. Zu ihrer Überraschung schloss er die Handschellen auf. „Sie sind klug genug, in so einer Gegend nicht abzuhauen.“ Er lächelte. „Und außerdem habe ich Ihren Stein in meinen Kofferraum.“
„Auf so einer Straße können Sie froh sein, wenn Ihr Auto nachher überhaupt noch da ist.“
„Man kennt hier mein Auto. Und niemand will sich mit mir anlegen.“ Auf einmal wirbelte er herum und erschreckte sie fast zu Tode, als er zwei Mal gegen eine graue Tür trat.
Sie hörte Holz splittern und schürzte anerkennend die Lippen, als die Tür beim dritten Versuch nachgab. „Nicht schlecht.“
„Danke. Und falls Ralph nicht auf schlau gemacht und den Code geändert hat, sind wir drin.“ Er trat ein und tippte hastig Zahlen in die Alarmanlage vor einer zweiten Tür ein. Im nächsten Moment ging die Tür mit einem leisen Klick auf.
„Woher kennen Sie den Code?“
„Es ist mein Job, solche Dinge zu wissen. Treten Sie zur Seite.“ Mit einer Kraft, die sie nur bewundern konnte, stellte er die eingetretene Tür wieder an ihren Platz. „Ralph hätte sich für Stahl entscheiden sollen. Zu billig.“
Drinnen knipste Jack das Licht an und ließ den Blick durch den kleinen, mit Akten vollgestopften Raum wandern. M.J. beobachtete währenddessen eine Maus, die außer Sicht flitzte.
„Sehr ansprechend. Ich bin wirklich beindruckt von Ihren Geschäftsbeziehungen, Dakota. Hat seine Sekretärin vielleicht ein Jahr Urlaub genommen?“
„Ralph hat keine Sekretärin. Er will die Nebenkosten so gering wie möglich halten. Zum Büro geht es da entlang.“
„Ich kann es kaum erwarten.“ Auf der Hut vor Nagetieren und allem anderem mit mehr als zwei Beinen folgte sie ihm. „Das könnte man durchaus unbefugtes Betreten nennen, oder nicht?“
„Die Cops haben für alles einen Namen. Wenn Sie lieber mit jemandem arbeiten würden, der freundlich an die Tür klopft, hätten Sie nicht mich aussuchen dürfen.“
Sie hob den Arm und klimperte mit den baumelnden Handschellen. „Das habe ich auch nicht. Schon vergessen?“
Er schüttelte den Kopf, bevor er die Tür zum Büro öffnete.
M.J. atmete zischend ein, aber das war auch schon das einzige Geräusch, das sie von sich gab. Daran würde er sich später erinnern und ihren Mut und ihre Gefasstheit bewundern. Silbergraue Aktenschränke, zerschrammt und verbeult, standen an zwei Wänden. Aus den geöffneten Schubladen quollen Unterlagen, bedeckten den Boden und flatterten unter einem quietschenden Ventilator.
Überall war Blut.
Bei dem Geruch drehte sich M.J. fast der Magen um. Sie biss die Zähne zusammen und schluckte schwer. Doch ihre Stimme war fest, als sie sagte: „Und das wäre dann also Ralph?“
5. KAPITEL
F alls hier Profis am Werk gewesen sind, haben sie sich nicht gerade bemüht, schnell und sauber zu arbeiten, dachte Jack. Andererseits gab es dafür auch gar keinen Grund. Ralph war noch immer an seinen Stuhl gefesselt.
Oder das, was von ihm übrig war.
„Sie können im Hinterzimmer warten“, sagte Jack.
„Das glaube ich kaum.“ M.J. war nicht besonders empfindlich. Sie war mehr oder weniger in einem Pub aufgewachsen und hatte regelmäßig Blut spritzen sehen. Aber auf diesen Anblick war sie nicht vorbereitet. Selbst als Realistin hätte sie niemals für möglich gehalten, dass ein Mensch einem anderen so etwas antun konnte. Starr hielt sie den Blick auf die Wand gerichtet, trat aber neben ihn. „Was haben die wohl gesucht?“
„Dasselbe wie ich. Alles, was Rückschlüsse darauf zulässt, wer Ralph auf uns angesetzt hat. Dieser verblödete Scheißkerl.“ Seine Stimme wurde mit einem Mal ganz weich. „Warum ist er nicht abgehauen?“
„Vielleicht hatte er keine Chance mehr dazu.“ Ihr Magen beruhigte sich langsam wieder, aber trotzdem atmete sie weiterhin stoßweise und flach. „Wir müssen die Polizei rufen.“
„Klar, und dann warten wir hier und erklären den Fall.“ Er zog ein Paar dünne Handschuhe an, die er aus seiner Hosentasche holte, kniete sich auf den Boden und begann, die Papiere durchzusehen.
„Jack, um Himmels willen, der Mann wurde ermordet.“
„Er wird aber nicht wieder lebendig, wenn wir die Cops rufen, oder? Ich habe Ralphs Ablagesystem noch nie kapiert.“
„Haben Sie denn überhaupt keine Gefühle? Sie kannten ihn.“
„Ich habe keine Zeit für Gefühle.“ Und weil genau diese Gefühle mit aller Gewalt an die Oberfläche drängten, klang seine Stimme rau wie Sandpapier. „Denken Sie mal
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