Der gefangene Stern
zivilisierter Mann war. Zivilisierte Männer kletterten nicht auf schlafende Frauen. Aber seine Fantasien konnte ihm niemand verbieten.
Weil es allerdings sicherer war, in einigem Abstand von ihr zu fantasieren, lief er schnell ins Badezimmer, spritzte sich jede Menge kaltes Wasser ins Gesicht und überlegte seine nächsten Schritte.
In ihrem Traum hielt sie den Stein in der Hand und sah ihn bewundernd an. Sonnenstrahlen fielen durch die Baumkronen. Doch statt den Stein zu durchdringen, entstand ein blitzender Strudel aus Licht, der in den Augen und in der Seele brannte.
Sie musste den Stein beschützen, vielleicht sogar behalten. Die Antworten existierten, versteckt im Innern. Wenn sie nur wüsste, wo sie suchen sollte. Von irgendwoher erklang das Knurren eines Biests, tief und wild. Sie ging darauf zu, anstatt davor wegzulaufen, den Stein fest in einer Hand haltend, die andere abwehrend erhoben.
Etwas bewegte sich langsam durch die Büsche, unsichtbar, suchend. Lauernd.
Dann war er da, auf einem großen schwarzen Pferd. An seiner Hüfte hing ein silbernes Schwert. Seine granitharten Augen erschienen ihr mindestens so gefährlich wie das Biest, das hier herumschlich. Er streckte seine Hand nach unten und lächelte ihr herausfordernd zu.
Gefahr vor ihr, Gefahr hinter ihr.
Sie ließ sich auf das glänzende schwarze Pferd ziehen, das sich laut wiehernd aufbäumte. Sie ritten schnell. Ihr Herz hämmerte – nicht etwa angstvoll, sondern triumphierend.
Plötzlich schreckte sie hoch. Sie lag in diesem dunklen, heruntergekommenen Motelzimmer, Jack rüttelte sie leicht an der Schulter.
„Was? Was ist?“, rief sie.
„Genug geschlafen.“ Er hatte sich überlegt, sie wachzuküssen und einen Faustschlag ins Gesicht zu riskieren, aber das hätte ihn zu sehr vom Wesentlichen abgelenkt. „Wir müssen los.“
„Wohin?“ Immer noch kämpfte sie damit, wach zu werden und die Reste ihres Traumes abzuschütteln.
„Jemand besuchen.“ Er öffnete die Handschelle am Kopfteil des Betts und schloss sie um sein eigenes Handgelenk.
„Sie haben Freunde?“, erkundigte sie sich staunend.
„Aha, jetzt ist sie also wach.“ Gleich darauf zog er sie hinaus in die dunstige, heiße Nacht. „Steigen Sie ein und rutschen Sie rüber“, befahl er, nachdem er die Autotür entriegelt hatte.
M.J. war noch immer müde genug, um zu gehorchen. Doch als er den Motor startete, kehrte ihre Kampfeslust zurück. „Hören Sie, Jack, Sie müssen mich endlich von diesen Handschellen befreien.“
„Ich weiß nicht, irgendwie gefallen sie mir ganz gut. Haben Sie mal den Film mit Tony Curtis und Sidney Poitier gesehen? Toller Streifen.“
„Wir sind aber keine entlaufenen Sträflinge, die einem Zug hinterherjagen, Dakota. Wenn wir eine Geschäftsbeziehung aufbauen wollen, muss es einen gewissen Grad an Vertrauen zwischen uns geben.“
„Herzchen, Sie trauen mir genauso wenig wie ich Ihnen.“ Er hielt sich peinlich genau an das Tempolimit. „Betrachten Sie es mal so.“ Er hob seine Hand, woraufhin ihre ebenfalls nach oben flog. „Wir sitzen im selben Boot. Dabei hätte ich sie auch einfach im Motel liegen lassen können.“
„Warum haben Sie das nicht getan?“
„Ich hatte es mir überlegt“, gestand er. „Ich würde ohne Sie schneller vorankommen. Aber ich möchte Sie gern im Auge behalten. Und falls etwas schiefgelaufen wäre und ich nicht hätte zurückkommen können, hätten Sie den Leuten erklären müssen, warum Sie in einem billigen Motel angekettet auf dem Bett liegen.“
„Wie rücksichtsvoll von Ihnen.“
„Finde ich auch. Obwohl es Ihre Schuld ist, dass ich so im Dunkeln tappe. Sie könnten mich aufklären.“
„Betrachten Sie es doch als Herausforderung.“
„Oh, das tue ich. Es und Sie.“ Er warf ihr einen Blick zu. „Was ist das für ein Typ, M.J.? Ihr Freund , für den Sie so viel aufs Spiel setzen?“
Sie sah aus dem Fenster, dachte an Bailey, schob den Gedanken dann aber schnell zur Seite. Es half nichts, sich Sorgen zu machen. Sie musste jetzt bei klarem Verstand bleiben. „Sie verstehen nichts von Liebe, oder, Jack?“ Ihre Stimme klang ruhig, und sie ließ den Blick über sein Gesicht wandern. „Die Art von Liebe, die nicht hinterfragt, niemals um einen Gefallen bittet oder Bedingungen stellt.“
„Nein.“ Er spürte, wie sich ein Gefühl von Neid in ihm ausbreitete. „Ich würde sagen, wenn man keine Fragen oder Bedingungen stellt, ist man ein Idiot.“
„Und Sie sind kein
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