Der gefangene Stern
nichts Interessantes. Nichts, was er nicht zurücklassen würde, ohne zu zögern.
So wie es sein ganzes Leben gewesen war. Bis gestern.
Was zum Henker sollte er nur tun? Er konnte ihr doch überhaupt nichts bieten. M.J. hatte Freunde, eine Familie und ein Pub. Was hatten sie schon gemeinsam – außer einem ähnlichen Musikgeschmack und einer Vorliebe fürs Stadtleben?
Und der Tatsache, dass er sie liebte.
Er sah zu ihr hinüber. Konzentriert starrte sie angestrengt aus dem Fenster.
Sie ist keine Schönheit, dachte er. Vielleicht war er ja blind vor Liebe, aber das Wort „schön“ war in ihrem Fall viel zu schlicht. Ihr fuchsartiges Gesicht war sexy und ungewöhnlich, der Kontrast zwischen den scharfen Gesichtszügen und den vollen Lippen einfach atemberaubend.
Zum ersten Mal in seinem Leben befand er sich an einem Scheideweg, hatte aber keine Ahnung, welchen Weg er einschlagen sollte.
„Das ist die Straße.“ Sie strahlte ihn so glücklich an, dass ihm fast das Herz stehenblieb. „Ich bin mir ganz sicher.“
Wenigstens ist sich einer von uns sicher, dachte er und beschleunigte auf fünfundsechzig Meilen.
9. KAPITEL
D ie Straße führte direkt in die Berge. M.J. war zwar der Ansicht, dass es sich hierbei um ein raffiniertes Meisterstück des Straßenbaus handelte, fühlte sich aber trotzdem ziemlich unbehaglich. Vor allem wegen all der Warnungen vor herunterfallenden Steinen und den hohen Felswänden auf beiden Seiten.
Was sollte die Steine eigentlich davon abhalten, auf das Auto zu knallen, zumal speziell dieses Auto bei seiner Größe ein leichtes Ziel bot?
Wachsam sah sie aus dem Fenster und versuchte die Steine durch reine Willenskraft am Fallen zu hindern. Über ihnen erstreckte sich eine üppige sommerliche Berglandschaft. Hitze und Luftfeuchtigkeit ließen die Luft im Auto dick werden wie Sirup. Die Reifen summten auf dem Asphalt.
Gelegentlich entdeckte sie Häuser hinter den Bäumen, aber nur kurz, als würden sie sich vor neugierigen Blicken verbergen. Das war auch eine Möglichkeit zu leben, wenn man Spaß daran hatte, den Garten zu pflegen und den Rasen zu mähen.
M.J. hatte noch nie in einem eigenen Haus gelebt, Wohnungen waren ihr immer lieber gewesen. Für den einen oder anderen mochten Wohnungen vielleicht nicht viel mehr als kleine Pappkartons sein, die in einem größeren Pappkarton steckten. Doch ihr hatte der Platz immer gereicht. Wozu brauchte man einen Garten und eine Schaukel, wenn man keine Kinder hatte?
Bei diesem Gedanken verspürte sie ein kleines Ziehen in ihrem Magen. Hatte sie jemals zuvor über Kinder nachgedacht? Darüber, ein Kind im Arm zu wiegen, es aufwachsen zu sehen, Schnürsenkel zu binden und Nasen zu putzen?
Es war schließlich Grace, die eine Schwäche für Kinder hatte. Nicht dass M.J. Kinder nicht mochte. Sie hatte eine ganze Horde von Cousins und Cousinen, die nichts anderes zu tun schienen, als die Welt zu bevölkern, und M.J. hatte schon viel Zeit damit verbracht, ein neues Baby anzulächeln, mit einem Kleinkind auf dem Boden rumzutoben oder einem künftigen Baseballspieler Bälle zuzuwerfen.
Aber wie fühlt es sich wohl an, überlegte sie, wenn das eigene Kind den Kopf an deine Schulter legt und gähnt oder dir auf wackligen Beinen die Arme entgegenstreckt?
Warum um Himmels willen dachte sie plötzlich über Kinder nach? Verdrossen drückte sie die Finger auf die Augen, um anschließend einen nachdenklichen Blick auf Jacks Profil zu werfen. Wie er wohl über Kinder dachte?
Ihre Wangen wurden heiß, und schnell sah sie wieder aus dem Fenster. Blöde Kuh, dachte sie, du kennst den Kerl gerade mal einen Tag und denkst schon über Windeln nach.
Toll, so war das also, wenn man sich plötzlich an einen Mann gebunden fühlte. „Da! Das ist die Ausfahrt! Hier sind wir abgefahren. Ich bin ganz sicher“, rief sie in der nächsten Sekunde.
„Erschieß mich nächstes Mal einfach“, schlug Jack vor. „Das geht schneller als ein Herzinfarkt.“
„Entschuldige.“
Er nahm die nächste Ausfahrt und gab ihr Zeit, sich zu orientieren.
„Links“, meinte sie nach einem Moment. „Ich bin ziemlich sicher, dass wir links abgebogen sind.“
„Gut, ich muss sowieso tanken. Worüber hast du vorhin nachgedacht, M.J.?“
„Nachgedacht?“
„Du warst einen Moment ganz weggetreten.“
Sie rutschte unbehaglich auf ihrem Sitz hin und her. „Ich habe mich nur konzentriert, das ist alles.“
„Nein, das stimmt nicht.“ Er hob ihr Kinn und drehte ihr
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