Der Gefangene
hatte. Ihre Nichte hatte verzweifelt um ihr Leben gekämpft. Wer konnte gegenüber einer hübschen jungen Frau so gewalttätig werden?
Die Wohnung war kalt und von einem unangenehmen Geruch erfüllt, den sie nicht identifizieren konnte. An der Wand stand noch immer »Als Nächstes stirbt Jim Smith«. Ungläubig starrte Glenna auf die ungelenken Buchstaben des Mörders. Das hat gedauert, dachte sie. Er war lange hier. Ihre Nichte war nach langer, grausamer Qual gestorben. Im Schlafzimmer lehnte die Matratze an einer Wand, nichts befand sich dort, wo es hingehörte. Im Schrank waren kein einziges Kleid und keine einzige Bluse mehr ordentlich aufgehängt. Warum riss ein Mörder alle Kleidungsstücke von den Bügeln? Auch in der kleinen Küche herrschte Unordnung, doch hier gab es keine Anzeichen für einen Kampf. Zu Debbies letzter Mahlzeit hatten tiefgefrorene Kroketten gehört, und die Überreste lagen auf einem Pappteller mit Ketchup. Ein Salzstreuer stand auf dem weißen Küchentisch, daneben fand sich die nächste Botschaft: »Sucht nich nach uns, sonst pasiert was.« Glenna wusste, dass der Killer zum Teil mit Ketchup geschrieben hatte. Die Rechtschreibfehler konsternierten sie.
Sie schaffte es, die schrecklichen Gedanken zu verdrängen und mit dem Packen zu beginnen. Es dauerte zwei Stunden, bis sie Kleidungsstücke, Handtücher, Geschirr und alles andere in Kisten verstaut hatte. Das blutige Bettlaken hatte die Polizei nicht mitgenommen. Auch auf dem Boden war immer noch Blut.
Es war nicht ihre Absicht gewesen, die Wohnung zu putzen. Sie hatte nur Debbies Sachen zusammenpacken und so schnell wie möglich verschwinden wollen. Trotzdem erschien es ihr merkwürdig, die Wörter stehen zu lassen, die der Mörder mit Debbies Nagellack geschrieben hatte. Und es kam ihr irgendwie nicht richtig vor, die Blutflecken auf dem Boden von einem Fremden entfernen zu lassen.
Sie dachte daran, die Wohnung zu reinigen, jeden Quadratzentimeter, um jede Spur des Mörders zu tilgen. Aber es reichte. Sie war dem Tod so nahe gekommen, dass es ihre Kräfte beinahe überstieg.
Auch in den nächsten Tagen wurden weitere Verdächtige vorgeladen. Insgesamt nahm man einundzwanzig Männern Fingerabdrücke, Haar- und Speichelproben ab. Am 16. Dezember fuhr Detective Smith mit Gary Rogers zum kriminaltechnischen Labor des OSBI in Oklahoma und lieferte dort die am Tatort gefundenen Beweise sowie die Proben von siebzehn Männern ab.
Das kachelgroße Stück aus der Rigipsplatte war der Beweis, auf den sich die größten Hoffnungen setzen ließen. Wenn der blutige Handabdruck tatsächlich während des Kampfes vor dem Mord auf der Wand zurückgelassen worden war und nicht von Debbie Carter stammte, hatte die Polizei eine solide Spur, die sie zu dem Mörder führen konnte. Jerry Peters vom OSBI untersuchte das Stück aus der Rigipsplatte und verglich den Handabdruck mit denen, die er Debbie während der Obduktion abgenommen hatte. Sein erster Eindruck war, dass er nicht von Debbie Carter stammte, aber er wollte seine Analyse überprüfen.
Am 4. Januar 1983 stellte Dennis Smith weitere Fingerabdrücke zur Verfügung. Am gleichen Tag wurden Debbie Carters Haare nebst den am Tatort gefundenen an Susan Land übergeben, eine Haaranalystin vom OSBI. Zwei Wochen später landeten weitere Funde vom Tatort auf ihrem Schreibtisch. Sie wurden katalogisiert und mit den anderen erst einmal ignoriert. Eines Tages würde Land die Zeit finden, sie zu analysieren. Sie war überarbeitet und kämpfte gegen einen Rückstau unerledigter Aufgaben an. Wie die meisten kriminaltechnischen Labors hatte auch das in Oklahoma zu wenig Geld und zu wenig Mitarbeiter, stand aber unter enormem Druck, Fälle zu lösen.
Während sie auf die Resultate vom OSBI warteten, suchten Smith und Rogers weiter nach Spuren. Noch immer war der Mord das heißeste Thema in Ada, und die Leute erwarteten, dass er aufgeklärt wurde. Aber nachdem alle ehemaligen Partner von Debbie Carter, alle Barkeeper, Rausschmeißer und Nachtschwärmer vernommen worden waren, geriet die Untersuchung ins Stocken. Es gab keinen eindeutig Verdächtigen und keine eindeutigen Spuren.
Am 7. März 1983 befragte Gary Rogers einen Ortsansässigen namens Robert Gene Deatherage, der wegen Alkohols am Steuer gerade eine kurze Haftstrafe im Gefängnis von Pontotoc County abgesessen hatte. Dort hatte er die Zelle mit einem gewissen Ron Williamson geteilt, der wegen des gleichen Delikts inhaftiert war. In dem Gefängnis
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