Der Gefangene
wurde ständig über den Mord an Debbie Carter geredet - jede Menge gewagte Theorien machten die Runde, und es gab keinen Mangel an Leuten, die angeblich über Insiderinformationen verfügten. Die beiden Zellengenossen hatten mehrfach über das Verbrechen gesprochen, und laut Deatherage schienen Williamson diese Gespräche nicht zu behagen. Sie stritten sich häufig, es kam sogar zu Handgreiflichkeiten. Schließlich wurde Williamson in eine andere Zelle verlegt. Deatherage kam der Verdacht, Williamson könnte etwas mit dem Mord zu tun haben, und so empfahl er Gary Rogers, die Polizei solle ihn sich einmal näher ansehen.
Es war das erste Mal, dass im Lauf dieser Untersuchung der Name Ron Williamson fiel. Zwei Tage später befragte die Polizei Noel Clement, einen der Ersten, der freiwillig zur Abnahme von Fingerabdrücken und Proben erschienen war. Er berichtete, Williamson sei kürzlich in seiner Wohnung aufgetaucht, wo er angeblich einen Bekannten gesucht habe. Er sei, ohne anzuklopfen, hereinspaziert, habe nach einer Gitarre gegriffen, auf die sein Blick gefallen sei, und dann mit ihm über den Mord an Debbie Carter diskutiert. Williamson habe gesagt, als an jenem Morgen nach dem Mord die Streifenwagen in seiner Nachbarschaft aufgetaucht seien, habe er geglaubt, die Polizei sei hinter ihm her. Er habe Ärger in Tulsa gehabt und wolle Ähnliches in Ada vermeiden.
Es war unvermeidlich, dass die Polizei bei Ron Williamson auftauchen würde, doch merkwürdigerweise dauerte es drei Monate, bis sie ihn schließlich befragte. Einige Beamte, unter ihnen Rick Carson, waren mit ihm aufgewachsen, und die meisten erinnerten sich an seine Spiele mit dem Baseballteam der Highschool. Bis 1983 hatte Ada keinen Spieler hervorgebracht, der so von den Profiklubs umworben worden war. Als ihn die Oakland Athletics 1971 unter Vertrag genommen hatten, waren viele Leute der Meinung gewesen - darunter mit Sicherheit Williamson selbst -, er könne der neue Mickey Mantle werden, der nächste große Baseballstar aus Oklahoma. Aber mit dem Baseball war es bei Williamson längst vorbei. Mittlerweile kannte ihn die Polizei als Gitarre spielen den Arbeitslosen, der bei seiner Mutter lebte, zu viel trank und ein bisschen seltsam war.
Er war zweimal wegen Alkohols am Steuer und einmal wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit festgenommen worden, und aus Tulsa hatte er einen schlechten Ruf mitgebracht.
2. Kapitel
Ron Williamson wurde am 3. Februar 1953 in Ada geboren, als einziger Sohn und jüngstes Kind von Juanita und Roy Williamson. Der Vater arbeitete als Vertreter für Rawleigh-Haushaltsprodukte. In Ada gehörte er zum Stadtbild. Er schleppte sich von Tür zu Tür, im Anzug und mit Krawatte, einen schweren Musterkoffer voller Proben, Gewürze und Küchengeräte in der Hand. Stets hatte er Süßigkeiten für die Kinder dabei, die ihn freudig begrüßten. Es war eine mühsame, körperlich anstrengende Art, den Lebensunterhalt zu verdienen, und abends musste noch stundenlang Papierkram erledigt werden. Das Einkommen war bescheiden, und deshalb nahm Juanita kurz nach Ronnies Geburt eine Stelle im Krankenhaus von Ada an.
Da beide Elternteile arbeiteten, fand sich Ronnie in der Obhut seiner zwölfjährigen Schwester Annette wieder, die diese Aufgabe nur zu gern übernahm. Sie fütterte und wusch ihn, spielte mit ihm, verhätschelte und verwöhnte ihn maßlos - er war ein wunderbares kleines Spielzeug, das ihr unverhofft in den Schoß gefallen war. Wenn sie nicht in die Schule musste, war sie die Babysitterin ihres Bruders, aber sie putzte und kochte auch.
Renee, das mittlere Kind, war bei Ronnies Geburt fünf. Sie zeigte wenig Interesse, für ihn zu sorgen, war aber bald seine Spielkameradin. Annette kommandierte sie herum, und als sie älter wurden, verbündeten sich Renee und Ronnie häufig gegen die ältere Schwester, die die Stelle der Mutter eingenommen hatte. Juanita war streng und eine überzeugte Christin und trieb ihre Familie nicht nur sonntags und mittwochs, sondern auch bei allen anderen erdenklichen Gelegenheiten in die Kirche. Niemals fehlten die Kinder in der Sonntagsschule, beim Bibelunterricht in den Ferien, beim Sommercamp, bei Erweckungsversammlungen oder gesellschaftlichen Veranstaltungen der Kirche - selbst an Hochzeiten und Beerdigungen mussten sie teilnehmen. Roy war weniger fromm, unterwarf sein Leben aber gleichwohl einer eisernen Disziplin: regelmäßige Kirchgänge, absolut kein Alkohol, kein Karten oder Glücksspiel,
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