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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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auf die Einwohnerzahl umgerechnet, mehr Gefangene hingerichtet als jeder andere amerikanische Bundesstaat. Nicht einmal in Texas gibt es auch nur annähernd so viele Hinrichtungen.
    In Oklahoma finden alle Hinrichtungen in McAlester statt, einem Hochsicherheitsgefängnis, das etwa hundertsechzig Kilometer südöstlich von Oklahoma City liegt. Die Todeszellen befinden sich im berüchtigten H-Trakt. Übung macht den Meister, und Hinrichtungen in McAlester werden mit militärischer Präzision ausgeführt. Ist die Hinrichtung eines Gefangenen angesetzt, verbringt dieser seinen letzten Tag mit Besuchern - Familienangehörigen, Freunden, oft auch dem Anwalt. Diese Besuche sind natürlich sehr schmerzlich und werden dadurch noch verschlimmert, dass Körperkontakt verboten ist. Zwischen dem Todeskandidaten und seinen Besuchern befindet sich eine dicke Glaswand, und alle Gespräche müssen über ein Telefon geführt werde. Es gibt keine Umarmung, keine Küsse von der Familie, nur ein herzzerreißendes »Ich liebe dich« durch einen schwarzen Hörer. Häufig küssen sich der Gefangene und seine Besucher symbolisch, indem sie die Lippen von beiden Seiten auf das Glas pressen. Auch die Berührung der Hände wird nachgeahmt. * Es gibt kein Gesetz, dass Körperkontakt vor einer Hinrichtung verbietet. Jeder Bundesstaat hat dazu eigene Regeln erlassen, und Oklahoma zieht es vor, seine Hinrichtungsrituale so streng wie nur möglich zu gestalten.
    Wenn der Gefängnisdirektor gerade gut gelaunt ist, erlaubt er dem Gefangenen ein paar Telefonanrufe. Nach Besuchsende wird es Zeit für die Henkersmahlzeit, die allerdings nicht mehr als fünfzehn Dollar kosten darf. Der Direktor hat stets das letzte Wort bei der Zusammenstellung. Cheeseburger, fried chicken, Catfish und Eiscreme werden am häufigsten verlangt.
    Etwa eine Stunde vor der Hinrichtung wird der Gefangene hergerichtet. Er zieht sich aus und legt eine hellblaue Kombination an, die so ähnlich wie OP-Kleidung aussieht. Dann wird er mit breiten Klettbändern auf einer fahrbaren Liege festgeschnallt und von seinen Zellengenossen verabschiedet, die ihre Solidarität dadurch zeigen, dass sie an den Türen ihrer Zellen rütteln und mit Gegenständen gegen die Gitterstäbe schlagen. Sie schreien und rufen wild durcheinander. Der Lärm dauert bis kurz nach der für die Hinrichtung festgesetzten Uhrzeit an. Dann hört er ganz plötzlich auf. Während der Gefangene vorbereitet wird, ist die Todeskammer bereits hergerichtet und wartet auf ihn. Nacheinander treten die Zeugen in die beiden Zuschauerräume - einer für die Familie des Opfers, einer für die Familie des Mörders. In dem Raum für die Familie des Opfers stehen vierundzwanzig Klappstühle, von denen einige für die Presse -in der Regel vier oder fünf-, ein paar für die Anwälte und einige wenige für den Direktor und seine Mitarbeiter reserviert sind. Sheriff und Staatsanwalt des Ortes lassen sich das Ereignis nur selten entgehen.
    Hinter diesem Raum, der durch einseitig durchsichtiges Spiegelglas vom Hinrichtungsraum abgetrennt ist, liest der Zeugenraum für die Familie des Mörders. Er ist mit zwölf Klappstühlen ausgestattet, von denen meist etliche unbesetzt bleiben. Einige Gefangene wollen nicht, dass ihre Familie bei der Hinrichtung dabei ist. Einige Gefangene haben keine Familie.
    Und einige Opfer haben ebenfalls keine Familie. Manchmal ist auch ihr Zeugenraum halb leer.
    Die beiden Räume sind voneinander getrennt, und es wird streng darauf geachtet, dass die beiden Gruppen sich zu keiner Zeit begegnen. Wenn die Zeugen Platz nehmen, können sie nichts sehen - der Blick in die Hinrichtungskammer wird ihnen durch geschlossene Jalousien verwehrt. Die Liege wird hereingerollt und an ihren Platz geschoben. Gefängnismitarbeiter mit Infusionsschläuchen - einer für jeden Arm - stehen schon bereit. Wenn die Infusion gelegt ist, werden die Jalousien hochgezogen, und die Zeugen können den Gefangenen sehen. Das einseitig durchsichtige Spiegelglas verhindert, dass der Todeskandidat einen Blick auf die Familie des Opfers werfen kann, doch seine eigene sieht er. Etwa sechzig Zentimeter über seinem Kopf ist ein Mikrofon an der Wand befestigt. Ein Arzt befestigt Elektroden zur Überwachung des Herzschlags auf der Brust des Gefangenen. Der stellvertretende Gefängnisdirektor steht an einem kleinen weißen Podium in einer Ecke des Raums und schreibt alles, was geschieht, in ein kleines Notizbuch. Neben ihm ist ein Telefon an die

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