Der Gefangene
drei Männer sehen - den Häftling genau gegenüber von ihm in Zelle 9, und die beiden Männer rechts und links von ihm. Ron sagte kein Wort. Die anderen auch nicht.
Die meisten neuen Insassen sagten in den ersten Tagen recht wenig. Der Schock, an einen Ort zu kommen, wo sie einige Jahre leben mussten, bevor man sie töten würde, war zu viel. Die Angst war überall: Angst vor der Zukunft, Angst davor, das, was sie verloren hatten, nie wiederzusehen, Angst, nicht überleben zu können, Angst, von einem der kaltblütigen Mörder, die man nur ein paar Schritte von sich entfernt atmen hörte, erstochen oder vergewaltigt zu werden.
Ron machte sein Bett und räumte seine Sachen ein. Er war froh, dass er allein war. Die meisten Häftlinge im Todestrakt saßen allein in der Zelle, hatten aber die Möglichkeit, sich mit jemandem zusammenlegen zu lassen. Im Gang draußen war ständig etwas los Gespräche unter den Gefangenen, lachende Wärter, ein lauter Fernseher, ein Radio, jemand, der einem Freund am Ende der Zellenreihe etwas zubrüllte. Ron hielt sich von seiner Zellentür fern, er wollte so weit wie möglich von dem Lärm weg. Er schlief, las und rauchte. Im Todestrakt rauchte jeder, und der Geruch nach altem und neuem Tabak hing wie dichter, beißender Nebel über dem Gang. Es gab zwar eine Lüftung, aber sie war so alt, dass sie nicht mehr funktionierte. Die Fenster ließen sich natürlich nicht öffnen, obwohl sie mit dicken Gitterstäben gesichert waren. Das Nichtstun war unerträglich. Es gab keinen festen Tagesplan. Keine Aktivitäten, auf die man sich freuen konnte. Eine kurze Stunde lang durfte man nach draußen. Die Langeweile lähmte alles.
Für Männer, die dreiundzwanzig Stunden täglich eingesperrt waren und so gut wie nichts zu tun hatten, war Essen eindeutig der Höhepunkt des Tages. Dreimal am Tag wurden Essenstabletts durch den Gang gerollt und durch die Klappen geschoben. Alle Mahlzeiten wurden in der Zelle eingenommen, allein. Frühstück gab es um sieben. In der Regel bestand es aus Rührei und Maisgrütze, und fast immer gab es Speck und zwei oder drei Stück Toast dazu. Der Kaffee war kalt und schwach, wurde aber trotzdem geschätzt. Als Mittagessen gab es Sandwiches und Bohnen. Das Abendessen war am schlimmsten - ein Stück undefinierbares Fleisch mit halb gekochtem Gemüse. Die Portionen waren geradezu lächerlich klein, und das Essen war immer kalt. Es wurde in einem anderen Gebäude gekocht und sehr langsam auf einem Rollwagen in den Todestrakt gebracht. Na und? Die Männer waren doch sowieso schon tot. Das Essen war fürchterlich, doch die Mahlzeiten waren wichtig.
Annette und Renee schickten Geld, und Ron kaufte sich Lebensmittel, Zigaretten, Toilettenartikel und alkoholfreie Getränke in der Kantine. Dazu füllte er ein Formular aus, auf dem die wenigen verfügbaren Artikel aufgelistet waren, und gab es dem wichtigsten Mann auf dem Gang, dem »Läufer«. Das war ein Gefangener, der besondere Privilegien bei den Wärtern genoss und fast seine ganze Zeit außerhalb seiner Zelle verbringen konnte, da er Botengänge für die anderen Gefangenen erledigte. Er gab Klatsch und Nachrichten weiter, holte und brachte die Wäsche und Sachen aus der Kantine, erteilte Ratschläge, verkaufte gelegentlich Drogen.
Der Hof - ein eingezäuntes Gelände von der Größe zweier Basketballplätze direkt neben dem F-Trakt - war allen heilig. Eine Stunde am Tag, fünf Tage die Woche, durfte jeder Gefangene in den Hof, um frische Luft zu schnappen, andere Gefangene zu besuchen und Basketball, Karten oder Domino zu spielen. Die Gruppen waren recht klein, in der Regel nur fünf oder sechs Männer auf einmal, und wurden von den Gefangenen selbst kontrolliert. Nur Freunde gingen zusammen auf den Hof. Ein Neuer musste erst eingeladen werden, bevor er sich sicher fühlen konnte. Es gab Prügeleien, und die Wärter behielten den Hof stets im Auge. Im ersten Monat ging Ron immer nur allein hinaus. Im Todestrakt saßen Mörder, und unter denen hatte er nichts verloren. Die einzige andere Kontaktmöglichkeit unter den Gefangenen war die Dusche. Sie durften dreimal in der Woche duschen, höchstens fünfzehn Minuten lang, und immer nur zwei Männer gleichzeitig. Wenn ein Häftling keinen Duschpartner haben wollte oder ihm nicht traute, konnte er sich auch allein waschen. Ron duschte immer allein. Es gab zwar jede Menge kaltes und heißes Wasser, aber es ließ sich nicht mischen. Entweder war es kochend heiß oder
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