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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Renee saßen im Gerichtssaal und waren bereit auszusagen. Rons Unzurechnungsfähigkeit war während des gesamten Prozesses mit keinem Wort erwähnt worden. Es waren keine medizinischen Unterlagen vorgelegt worden.
    Die letzten Worte, die die Geschworenen aus dem Zeugenstand vernahmen, waren die von Andrea Hardcastle.
    In seinem Schlussplädoyer forderte Bill Peterson die Todesstrafe. Außerdem hatte er noch ein paar neue Beweise, ein oder zwei neue Fakten, die im Prozess nicht bewiesen worden waren. Rons Pferdekopfring war erst in Andrea Hardcastles Aussage erwähnt worden. Peterson zog ein paar vorschnelle Schlussfolgerungen, interpretierte die Beweise ein wenig anders und war plötzlich der Meinung, dass Ron denselben Ring benutzt hatte, als er Debbie Carter geschlagen hatte. Daher seien die Verletzungen in ihrem Gesicht mit ziemlicher Sicherheit denen Andrea Hardcastles vom Januar 1981 sehr ähnlich. Das war weit hergeholt. Beweise dafür gab es keine, aber sie waren ja auch nicht notwendig.
    In dramatischem Ton sagte Peterson zu den Geschworenen: »Bei Andrea Hardcastle hat er seine Unterschrift hinterlassen, und bei Debbie Carter hat er sie unterstrichen.« Sein Plädoyer beendete er mit den Worten: »Meine Damen und Herren, wenn Sie wieder hier hereinkommen, möchte ich, dass Sie sagen: Ron Williamson, für das, was Sie Debra Sue Carter angetan haben, verdienen Sie den Tod.«
    »Ich habe Debbie Carter nicht getötet«, platzte es aus Ron heraus. Er hätte sich keinen besseren Moment aussuchen können.
    Die Geschworenen zogen sich zur Beratung zurück. Nach nicht einmal zwei Stunden waren sie wieder da. Sie hatten sich für die Todesstrafe entschieden.
    In einem grotesken Fall von nachträglichen richterlichen Zweifeln setzte Richter Jones für den nächsten Tag eine Anhörung an, um den Verstoß der Anklage gegen Brady zu erörtern. Obwohl Barney müde war und den Fall gründlich satthatte, war er immer noch empört darüber, dass die Polizei und Peterson das 1983 aufgenommene Videoband von Rons Lügendetektortest bewusst zurückgehalten hatten.
    Aber warum sollte man sich deshalb noch aufregen? Der Prozess war zu Ende. Das Video war nicht mehr von Nutzen, da alles bereits entschieden war.
    Es überraschte niemanden, dass Richter Jones entschied, die Unterdrückung des Videobandes durch die Behörden sei gar kein Verstoß gegen Brady gewesen. Das Band sei im Grunde genommen nicht versteckt worden; es sei nach dem Prozess übergeben worden, was einer verspäteten Vorlage entspreche.
    Zu diesem Zeitpunkt war Ron Williamson bereits auf dem Weg in den F-Trakt, jenen berüchtigten Zellenblock im Staatsgefängnis von Oklahoma in McAlester, in dem die Todeskandidaten einsaßen.
10. Kapitel
    Oklahoma nimmt die Todesstrafe sehr ernst. Als der U.S. Supreme Court 1976 die Wiederaufnahme von Hinrichtungen genehmigte, setzte die Legislative von Oklahoma sofort eine Sondersitzung an, die ausschließlich dem Zweck diente, eine eigene Gesetzgebung für die Todesstrafe zu erlassen. Im Jahr darauf diskutierten die gesetzgebenden Organe über die innovative Idee, die Todeskandidaten mit einer Giftspritze hinzurichten, als Alternative zu »Old Sparky«, wie der zuverlässige elektrische Stuhl des Bundesstaates genannt wurde. Für die Todesspritze sprach, dass Chemikalien barmherziger waren, was verfassungsrechtliche Klagen wegen grausamer und unmenschlicher Bestrafung weniger wahrscheinlich machte, sodass die Hinrichtungen schneller angesetzt werden konnten. Im Eifer des Gefechts erörterten die Gesetzgeber unter den wachsamen Augen der Presse und angestachelt von den Wählern die verschiedenen Möglichkeiten, das Leben eines Menschen zu beenden. Verfechter einer härteren Gangart wollten den Galgen, Exekutionskommandos und ähnliche Hinrichtungsarten zurückhaben, doch am Ende wurde die Todesspritze mit überwältigender Mehrheit angenommen. Oklahoma war der erste Bundesstaat, der diese Hinrichtungsmethode einführte.
    Aber nicht der erste Bundesstaat, der sie einsetzte. Sehr zum Verdruss von Gesetzgebern, Polizei, Staatsanwaltschaft und einer breiten Mehrheit der Bevölkerung fiel Oklahoma schnell hinter andere Bundesstaaten zurück, in denen es die Todesstrafe gab und diese auch vollstreckt wurde. Dreizehn lange Jahre vergingen, ohne dass eine Hinrichtung stattfand. 1990 hatte das Warten ein Ende, und die Todeskammer wurde wieder gebraucht.
    Nachdem der Damm einmal gebrochen war, gab es kein Halten mehr. Seit 1990 hat Oklahoma,

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