Der Gefangene
packte er und verabschiedete sich von einigen Freunden. Der Mann, der ihn nach Ada fahren sollte, war kein anderer als John Christian, den er bereits aus dem Gefängnis von Pontotoc County kannte.
Nach zwölf Jahren im Gefängnis wusste Dennis, welch kostbares Gut Privatsphäre und Freiheit waren. Er hatte gelernt, die kleinen Freuden des Lebens zu schätzen. Daher erfreute er sich an der offenen Landschaft, den Wäldern und Blumen. Überall hatte der Frühling das Regiment übernommen, und Dennis lächelte durch das Fenster, als die ländliche Gegend mit ihren Höfen und den sanften Hügeln an ihnen vorüberflog. Seine Gedanken waren völlig ungeordnet. Er wusste nichts von den letzten Testergebnissen und war sich auch nicht sicher, warum er nach Ada zurückgebracht wurde. Vielleicht wurde er freigelassen, aber es bestand immer die Möglichkeit, dass in letzter Minute etwas schiefging. Vor zwölf Jahren war er schon während der Voruntersuchung fast wieder freigekommen, nachdem Richter Miller gemerkt hatte, wie dürftig die Beweise der Anklage waren. Dann präsentierten Peterson und die Polizei James Harjo. Es kam zur Verhandlung, und Dennis landete im Gefängnis.
Er dachte an Elizabeth und daran, wie schön es sein würde, sie zu sehen und in die Arme zu schließen. Er konnte es gar nicht erwarten, Oklahoma zu verlassen. Dann packte ihn wieder die Angst. Er war der Freiheit so nah, aber er trug immer noch Handschellen und war auf dem Weg in ein Gefängnis.
Ann Kelley und ein Fotograf erwarteten ihn. Er lächelte, als er das Gefängnis betrat, und war froh über die Gelegenheit, mit der Reporterin sprechen zu können. »In dieser Sache hätte niemals Anklage erhoben werden dürfen«, sagte er. »Die Beweise gegen mich waren unzureichend, und wenn die Polizei gegen alle Verdächtigen ordnungsgemäß ermittelt hätte, wäre es vielleicht nie so weit gekommen.« Er erklärte das Problem mit der Behörde für die Strafverteidigung Mittelloser. »Wer kein Geld für einen eigenen Verteidiger hat, ist der Justiz auf Gedeih und Verderben ausgeliefert. Ist man einmal in die Mühlen des Systems geraten, dann ist es auch für Unschuldige praktisch unmöglich, wieder herauszukommen.«
Er verbrachte eine ruhige Nacht in seiner alten Umgebung und träumte von der Freiheit.
Am nächsten Tag, dem 14. April, wurde die Ruhe im Gefängnis erheblich gestört, als Ron Williamson aus Vinita eintraf. Er trug gestreifte Gefängniskleidung und grinste in die Kameras. Es hieß, er und Dennis sollten am nächsten Tag entlassen werden, und die Story hatte landesweit die Aufmerksamkeit der Presse erregt.
Ron und Dennis hatten sich elf Jahre lang nicht gesehen und sich nur einmal geschrieben, aber als sie sich wiedersahen, fielen sie sich lachend in die Arme, während sie versuchten zu begreifen, wo sie waren und warum. Dann trafen die Anwälte ein, und sie besprachen sich eine Stunde lang mit ihnen. Dateiine vom Sender NBC hatte einen Kameramann vor Ort, der alles filmte. Jim Dwyer von der New Yorker Daily Newswar zusammen mit Barry Scheck eingetroffen.
Sie drängten sich in dem kleinen Verhörraum an der Ostseite des Gefängnisses, der auf das Gerichtsgebäude hinausging. Irgendwann streckte sich Ron auf dem Boden aus, stützte den Kopf in die Hände und sah durch die Glastür nach draußen. »Was soll denn das?«, fragte schließlich jemand.
»Ich warte auf Peterson«, erwiderte Ron.
Auf dem Rasen vor dem Gerichtsgebäude wimmelte es nur so von Reportern und Kameras. Einer der Journalisten bekam Bill Peterson zu fassen, der sich bereit erklärte, ein Interview zu geben. Als Ron den Staatsanwalt vor dem Gerichtsgebäude sah, rief er: »Du fetter Gangster! Dir haben wir's gezeigt, Peterson!«
Dennis' Mutter und Tochter besuchten ihn überraschend im Gefängnis. Obwohl er und Elizabeth einen regen Briefwechsel geführt hatten, war er nicht auf den Anblick dieser schönen, eleganten und sehr erwachsenen jungen Dame von fünfundzwanzig Jahren vorbereitet. Er schluchzte unkontrollierbar, als er sie in die Arme schloss. An jenem Nachmittag flössen im Gefängnis viele Tränen.
Ron und Dennis wurden in getrennten Zellen untergebracht, damit sie sich nicht gegenseitig an die Gurgel gingen.
»Ich halte die beiden voneinander getrennt«, erklärte Sheriff Glase. »Ich habe einfach kein gutes Gefühl dabei, zwei verurteilte Mörder in eine Zelle zu stecken - und bis der Richter was anderes sagt, bleiben sie das für mich.«
Die Zellen lagen
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