Der Gefangene
nebeneinander, und Dennis' Zellengenosse besaß einen kleinen Fernseher. Aus den Nachrichten erfuhr Dennis, dass sie am nächsten Tag freikommen sollten, was er sofort an Ron weitergab.
Terri Holland saß auch wieder einmal im Gefängnis -eine weitere Station ihrer erstaunlichen Karriere als Kleinkriminelle. Sie und Ron wechselten ein paar Worte, aber nichts besonders Unangenehmes. Am späten Abend verfiel Ron in seine alten Gewohnheiten. Lautstark forderte er seine Freiheit, protestierte gegen das erlittene Unrecht, beschimpfte die weiblichen Gefangenen mit obszönen Worten und sprach mit Gott.
Die Rehabilitierung von Ron Williamson und Dennis Fritz erregte landesweit Aufmerksamkeit. Aller Augen richteten sich auf Ada. In der Morgendämmerung des 15. April war das Gerichtsgebäude von Übertragungswagen, Lkw mit Satellitenantennen, Fotografen, Kameraleuten und Reportern umringt. Auch die Einheimischen kamen, weil sie sich den Trubel und die Neuigkeiten nicht entgehen lassen wollten. Die Plätze im Gerichtssaal waren derart heiß begehrt, dass Richter Landrith eine Verlosung für die Journalisten hatte improvisieren müssen. Die Verhandlung wurde über eine einzige Leitung durch sein Bürofenster live nach draußen zu den Sendewagen der Medien übertragen.
Vor dem Gefängnis wartete ein Heer von Kameras. Als Ron und Dennis erschienen, wurden sie sofort umringt. In aller Eile hatte Annette für Ron Jacke, Krawatte, Hemd und Hose gekauft. Die neuen Schuhe waren zu klein und drückten fürchterlich. Dennis' Mutter hatte ihrem Sohn einen Anzug gebracht, aber er bevorzugte die Straßenkleidung, die er während der letzten Jahre im Gefängnis hatte tragen dürfen. Mit eiligen Schritten legten sie ihren letzten Gang in Handschellen zurück, wobei sie immer wieder lächelnd ein paar scherzhafte Worte mit den Journalisten wechselten. Annette und Renee kamen früh und nahmen ihre üblichen Plätze in der ersten Reihe direkt hinter der Verteidigung ein. Sie hielten sich an den Händen, beteten, weinten und brachten ein- oder zweimal sogar ein mühsames Lachen zustande.
Noch war es zu früh, sich zu freuen. Neben ihnen saßen ihre Kinder, andere Verwandte und einige Freunde. Wanda und Elizabeth Fritz hatten ebenfalls ganz in der Nähe Platz genommen. Auch sie hielten sich an den Händen und flüsterten aufgeregt. Der Gerichtssaal füllte sich. Auf der anderen Seite des Ganges saß die Familie Carter. Wieder einmal fand sie sich gezwungenermaßen vor Gericht wieder, wieder einmal musste sie sich durch eine Anhörung quälen, ohne dass das Verbrechen aufgeklärt und der Gerechtigkeit Genüge getan worden wäre. Siebzehn Jahre waren seit dem Mord an Debbie vergangen, und nun standen die beiden Männer, die deswegen angeklagt und verurteilt worden waren, vor der Freilassung.
Bald hatten sich die Stühle gefüllt, und die nachdrängenden Zuschauer mussten sich an den Wänden aufstellen. Richter Landrith hatte Kameras zugelassen. Nun sorgte er dafür, dass Fotografen und Journalisten in dem sonst den Geschworenen vorbehaltenen Bereich blieben, wo dicht an dicht Klappstühle aufgestellt wurden. Überall wimmelte es von Polizeibeamten. Die Sicherheitsvorkehrungen waren streng. Es hatte anonyme Anrufe und Drohungen gegen Ron und Dennis gegeben. Die Atmosphäre in dem überfüllten Gerichtssaal war angespannt.
Dennis Smith und Gary Rogers waren nicht unter den zahlreichen Polizisten, sondern irgendwo weit weg.
Verteidiger und Staatsanwälte kamen herein: Mark, Sara und Barry Scheck für die Beschuldigten, Bill Peterson, Nancy Shew und Chris Ross für die Anklage. Man lächelte und schüttelte einander die Hand. Die Staatsanwaltschaft schloss sich dem Antrag auf Einstellung des Verfahrens an: Die beiden sollten freikommen. Mit vereinten Kräften wollte man einen Fehler korrigieren. Einer der seltenen Fälle, in denen die Gemeinschaft der Juristen in einem historischen Augenblick ein Unrecht aufdeckt. Eine große, glückliche Familie. Jeder konnte sich zu diesem hervorragend funktionierenden System beglückwünschen, auf das alle stolz waren.
Ron und Dennis wurden hereingebracht. Zum letzten Mal wurden ihnen die Handschellen abgenommen. Sie saßen hinter ihren Anwälten, nur wenige Meter von ihren Familien entfernt. Ron starrte geradeaus, ohne viel zu sehen. Dennis dagegen blickte in die Menge. Die Gesichter waren niedergeschlagen und verbissen. Der größte Teil des Publikums schien sich über die Aussicht auf ihre Freilassung
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