Der gefrorene Rabbi
Muskateller an, nachdem sie sich als »Leichen auf Urlaub« bezeichnet hatten.
»Auf das Ice Castle …«, prostete Max.
»… dass es sich nicht herausstellt als Eisdummheit.« Schmerl brachte das Glas seines Partners zum Klingen.
»Le’chajim.«
Unter einem Hutständer in der Ecke spielten eine Fiedel und ein Bass einen apathischen Schottischen, während die Teilhaber über ihr Gemeinschaftsunternehmen redeten und sich in nostalgischen Reminiszenzen darüber ergingen, wie viel sich für sie in so kurzer Zeit verändert hatte. Schmerls Bedenken gegen die Aufgabe seiner Selbstständigkeit lösten sich auf in der Anhänglichkeit, die er für seinen tüchtigen Kompagnon empfand. Und Max, der sich im bewundernden Blick des Erfinders sonnte, fühlte sich so entspannt, dass er ein heikles Thema anschneiden konnte.
»Hob ich dich angelogen, Karp.« Sein Blick ruhte auf den kleinen, fast wie zum Gebet gefalteten Händen. »Hob ich gelogen, dass es war ein Zufall, der Überfall in der Gasse.« Zwar hatte er sich noch nie so sicher gefühlt wie in Gesellschaft seines Partners, so bekannte er, doch er war noch immer ein Gezeichneter, verfolgt von den Häschern eines Mannes, der sich von Max betrogen wähnte.
Entsetzt über diese Enthüllung, fauchte Schmerl den Freund zum ersten Mal in ihrer gemeinsamen Zeit an. »Warum hoßt du doß nicht gesagt vorher?« Wochenlang hatte sich Max einer Gefahr ausgesetzt, die leicht zu vermeiden gewesen wäre. Schmerl wusste, wo sich die Übeltäter herumtrieben; er wollte hingehen und sie offen herausfordern, er würde sie mit einem chemischen Gemisch farplozn, er würde … Max beruhigte ihn mit der Versicherung, dass er einen kleinen Teil ihres Kapitals an Pisgat, den Leidtragenden, als Anzahlung auf die eingebüßte Summe geschickt und ihm den Rest zu gegebener Zeit in Aussicht gestellt hatte. Möglicherweise hatte der Eismensch seine Bluthunde wieder zurückgepfiffen. Doch fürs Erste wollte Max Feinschmeker »bleiben von dem Ice Castle a stiller Teilhaber«.
Der Erfinder neigte den Kopf, als er sich die Logik der Äußerung seines Freundes durch den Kopf gehen ließ.
Aber Max war nicht ganz offen gewesen. Er hatte nicht erwähnt, dass er mit dieser Regelung nicht nur darauf abzielte, seinen Hals und ihr Unternehmen zu retten, sondern mindestens genauso sehr darauf, sich von Schmerl zu distanzieren. Er hatte das Gefühl, dass er und sein Partner einander zu nahe gekommen waren und zu sehr voneinander abhängig waren. Auslöser dieser Haltung war zum Teil Jochebed, mit der Max nicht mehr so uneins war wie früher. Sowohl ihm als auch dem Mädchen war die Gefahr einer übergroßen Vertraulichkeit mit einem Mitglied des anderen Geschlechts schmerzlich bewusst, auch wenn dieses so harmlos war wie Schmerl Karp. Und war er wirklich harmlos? Der Erfinder war einfach zu unentbehrlich für den jungerman geworden, der seine Weiblichkeit in letzter Zeit immer stärker empfand. Seit Kurzem fühlte er sich zu gleichen Teilen als Max Feinschmeker und Jochebed, und die Waage neigte sich sogar schon auf Jochebeds Seite, da er sich immer mehr ihrem angeborenen Geschäftssinn anvertraute. Zudem hatte es Max satt, sich ständig verstellen zu müssen. Manchmal wollte er dem Mädchen einfach seine Freiheit lassen, wenn auch nur für kurze Zeit, doch dafür brauchte er eine eigene Privatsphäre; dafür, so gab er zu, »hob ich gemietet eine Wohnung im Norden«.
In der Annahme, dass die Wohnung für sie beide bestimmt war, erhob Schmerl leise Einwände. »Und wenn ich nicht will verlassen die East Side?«
»Musst du sie nicht verlassen«, erwiderte Max.
»Aber …«
»Is sie für mich, die Wohnung.«
Eine Flut widersprüchlicher Emotionen spülte über Schmerl hinweg: Max war seine Gesellschaft leid; vielleicht hatte er ein Mädchen kennengelernt; merkwürdig, dass sie nie über Frauen sprachen. Schmerl spürte, wie in ihm die Eifersucht zu brodeln begann, und auch wenn das eine völlig irrationale Reaktion war, stand er kurz davor, einen Streit vom Zaun zu brechen. Bin ich böse auf dich, hätte er am liebsten gerufen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, so gebannt war er von Max’ obsidianfarbenen Augen, seinen sahneweißen Wangen, die anscheinend keine Rasur benötigten, und seinem Schwanenhals (interessanterweise) ohne Adamsapfel. Dann sagte sich der Erfinder, dass sein Freund ein Recht auf seine Unabhängigkeit hatte, und letztlich formte er nur mit den Lippen ein stummes Oh. Als er
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