Der gefrorene Rabbi
festgezogener Kurbelzapfen oder eine Erhöhung oder Verminderung des Luftdrucks die Produktion um ein Mehrfaches beschleunigen konnte.
Auch Mr. Levine hatte alle Hände voll zu tun - dieselben schwieligen Hände, die nichts mehr mit seinem alten Beruf zu tun haben wollten und sich nun ganz einem neuen widmeten, der geruchlos und fliegenfrei war. Der krummbeinige frühere Wagenhofbetreiber erlebte seinen zweiten Frühling und war überall gleichzeitig. Er schmueßte mit potenziellen Kunden, prüfte Lieferstrecken und Lagerbestand und machte Mechaniker zur Schnecke, die ihren Gewerkschaftsbeitrag nicht bezahlt hatten. Doch die Fabrik war größer als die Summe ihrer Teile, und nachdem die Öffentlichkeit erkannt hatte, dass sie mehr war als nur eine Neuheit, gewann sie mit atemberaubender Geschwindigkeit die Vorherrschaft im Bereich des Eishandels.
Binnen weniger Monate hatte Karp’s Ice Castle, wie es allgemein genannt wurde, die Konkurrenten überflügelt, die noch an das teure Ernten, Schleppen und Einlagern von Eis gebunden waren, das sie hartnäckig als Gottes Eis bezeichneten. Künstliches Eis (wenngleich unzweifelhaft real) konnte zu einem Bruchteil der Kosten produziert werden, die anfielen, wenn Lieferanten Blöcke aus gefrorenen Seen sägten, die zum Teil in Vermont und Maine lagen - ganz zu schweigen von dem Schmelzverlust während des Transports und der geringen Haltbarkeit in den Einrichtungen, wo das Eis gelagert wurde. Außerdem war natürliches Eis in milden Wintern von Knappheit betroffen; häufig war es mit Jauche verunreinigt und enthielt unbeschreibliche Fremdkörper. Demgegenüber konnte Karp’s Castle Tag für Tag Tonnen von kristallklarem Eis herstellen und es in ganz Manhattan und Brooklyn in Zwanzigpfundblöcken zu einem lächerlich geringen Preis von fünf Cent pro Pfund zustellen. Dank geringer Fixkosten war es dem Ice Castle möglich, nicht nur die Konkurrenz zu unterbieten, sondern auch die Lagergebühren zu senken.
Natürlich entfachte die wachsende Dominanz der Fabrik bei der überholten Konkurrenz Animositäten, und es gab eine durchaus reale Sabotagegefahr. Aber die Angestellten des Castle stellten eine kleine Armee dar, deren großzügiger Lohn sie zu fanatischer Treue gegenüber ihrem Produkt bewog, und manche Arbeiter trugen dem Vernehmen nach sogar außerhalb der Firma Kämpfe mit Rivalen aus. Daher dauerte es nicht lange, bis die Türmchen an der Fassade des Ice Castle in der Lower East Side zum Wahrzeichen für Geschick und Geschäftssinn der Einwanderer wurden.
Wie gewünscht wurden die gewöhnlichen Arbeiter der Fabrik über Max Feinschmekers Existenz und vor allem seine Bedeutung als pekuniärer Berater im Dunkeln gelassen. Natürlich setzte man voraus, dass ein derart komplexes Unternehmen nicht ohne einen Stab von Anwälten, Buchhaltern und Verwaltungskräften existieren konnte. Irgendwer da oben musste Bücher führen, Bilanzen erstellen, Preise festsetzen, Budgets und Kosten abschätzen. Doch abgesehen von Schmerl wusste nur Elihu Levine, dass eine einzige unsichtbare Hand all diese Aufgaben erfüllte, und so widerspenstig der Alte manchmal sein konnte, diese Regelung stellte er nie infrage. Die Loyalität in Person, billigte er die Entscheidungen von oben meist, und da sich noch kein Grund für irgendwelche Einwände ergeben hatte, begrüßte er die Worte aus der namenlosen Quelle sogar wie eine Art Evangelium. Warum auch nicht? Seit er Werkmeister des Ice Castle war, hatte sein Schicksal eine überaus günstige Wendung genommen; er bezog ein ansehnliches Gehalt und hatte damit und mit dem Erlös aus dem Verkauf seines Wagenhofs in seinen alten Jahren ein völlig neues Leben begonnen.
Allerdings hatte sein Umzug aus den Stallungen in eine Hotelsuite in der Nähe der Second Avenue seinem früheren Angestellten die Heimat geraubt, der sich gezwungen sah, die Zelte abzubrechen und seinen Stützpunkt zu verlegen. So brachte Schmerl mithilfe mehrerer Arbeiter und einer kleinen Karawane von Lieferwagen sein mechanisches Sammelsurium direkt in die Fabrik. Mit seinem neu erworbenen Reichtum hätte er sich natürlich ein verschwenderisches Quartier wie Max leisten können (zumindest stellte er es sich so vor, denn er hatte ihn noch nicht besucht), doch er fand es vorteilhafter zu schlafen, wo er arbeitete - auf einer Pritsche in einem wärmeisolierten Kühlraum mit fünfundzwanzig Zentimeter dicken Wänden, den er manchmal mit ausgenommenen Rinderhälften teilte. Dort
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