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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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Gatten, obwohl auch sie von der ausgelassenen Atmosphäre im Getto befeuert wurde. Trotz ihrer Enttäuschung vom Leben, die sie sowohl Gott als auch Salo unablässig vorhielt, war sie auch eine geschäftstüchtige Frau. Als Salos Ruhm verflogen war, hatte sie aus dem Nichts zwei Rüben und Eier hergezaubert, die sie auf dem Markt in der Franciszkanskastraße feilbot. Dort stritt sie sich mit anderen Weibern um die begehrtesten Plätze und verkaufte ihre Ware zum Preis von zwei weiteren Rüben und Eiern. Dann kam ein Tag, an dem sie ein Ei mit Gewinn veräußerte und diesen zur Erweiterung des Warenbestands nutzte. Durch kluges Anlegen ihres Ertrags in Erzeugnisse, die die Bauern von ihren übervollen Wagen en gros verkauften, konnte sie schließlich ein bescheidenes Handkarrenunternehmen begründen. Sie handelte mit Gemüse und Eiern, die ihr Mann über Nacht im Eishaus einlagerte, um ihre Frische zu bewahren. Schon nach wenigen Wochen war ihr Stand ein gut gehendes Geschäft. Voller Bewunderung für den Fleiß seiner aufbrausenden Gattin half ihr Salo nach Kräften, was allerdings bedeutete, dass er nur selten schlief. Er karrte Waren von den Großhändlern zum Markt und schleppte die bulkeß, die Bascha Pua zu Hause rollte, zur Bäckerei, wo sie auf dem Gemeinschaftsofen aufgingen wie aufgeblähte Ballone. Zum Dank dafür erntete er das übliche Genörgel seiner Frau, dass er ihr nur im Weg herumstand. Außerdem nahm sie Anstoß an seiner Besorgtheit über ihren Zustand, durch den sie sich keineswegs von ihrer Plackerei und dem Gebrauch ihrer spitzen Zunge abbringen lassen wollte.
    Dann wurden die Zwillinge geboren. Bascha Pua fluchte auf die Maßlosigkeit ihres Mutterleibs und drohte, ihn zuzunähen, falls ihr Mann sein rührseliges Gurren und Scharwenzeln bei den Kindern nicht einstellte. Tobend warf sie der schnurrbärtigen Hebamme Beihilfe vor und machte Salo dafür verantwortlich, ihr noch mehr hungrige Mäuler aufgehalst zu haben. Dennoch völlig euphorisch, trieb Salo seine erweiterte Familie in den finanziellen Ruin, als er zur Beschneidung jeden ganew und Fuhrknecht in ihrer kloakenartigen Straße zu Schnaps und Biskuitkuchen einlud. Da seine Frau in diesem Punkt völlig desinteressiert blieb, nannte er die Jungen nach seinem unglückseligen Vater Jachne und Jojne.
    Wenn Bascha Pua die beiden an den Eutern baumelnd zum Marktstand trug, schimpfte sie wegen ihres unstillbaren Appetits auf sie ein. »Ihr freßerß, saugt ihr wie Egel und beißt ihr wie Nattern!« Niemand machte sich je die Mühe, die zwei Bengel auseinanderszuhalten, und noch bevor sie entwöhnt waren, tollten sie auf den ungepflasterten Straßen des Balut herum. Schon früh lernten sie, die Drohungen und Jeremiaden ihrer Mutter zu ignorieren oder sich sogar - dem Beispiel ihres Vaters folgend - köstlich über ihre schrillen Schmähungen zu amüsieren. Von Anfang an fielen sie in den Rudeln herumstromernder Gettorangen durch ihre Dreistigkeit auf. Sie waren in vorderster Reihe, wenn es darum ging, die schlampigen Huren zu hänseln, die die Fenster und Türen der Zydowskastraße zierten, und die bettelnden Krüppel so lange zu piesacken, bis diesen vor Wut ungeahnte Gliedmaßen wuchsen, mit denen sie die Verfolgung aufnahmen. Von ihren Streifzügen durch Schlachthäuser und Gerbereien brachten sie neue Spielarten übler Gerüche und eine Gossensprache nach Hause, die sich sogar mit dem Wortschatz ihrer Mutter messen konnte. Sie ritten auf verlassenen Mühlrädern und wurden getauft im siedenden Fluss, der vor Säuren brodelte wie die Retorte eines Zauberers.
    Bascha Pua trug ihrem Gatten auf, die jungen Wilden zu bändigen, doch in seinen Augen richteten die beiden unbekümmerten und stürmischen Bengel keinen echten Schaden an. Und abgesehen davon, wann hätte er denn Zeit finden sollen, um mehr zu sein als ein wohlwollender Zuschauer bei der Entwicklung seiner Söhne, die er ebenso wenig unterscheiden konnte wie alle anderen? Der Form halber bestand er darauf, dass sie einen chejder besuchten, doch der alte melumed Jankl Mundgeruch konnte weder sie noch ihre Schulkameraden den ganzen Tag über in einem stickigen Schulzimmer halten. Ihr Vater, der selbst unangenehme Erinnerungen an die klojs seines Dorfes hatte, verzieh ihnen, wenn sie den Unterricht schwänzten. Um seine Frau zu besänftigen, versprach Salo ihr, den Zwillingen das Boibiczer Wunder vorzuführen, sobald sie dafür die innere Reife besaßen, denn die Aura des gefrorenen rebbe

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