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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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Vorfall (in Nur Chams, in Al-Qibilya, auf der Straße nach Damaskus) mit einer Klarheit, die fast eine Erholung war vom süßen Schmerz der Liebe und des Geliebtwerdens.
    Sie redeten nie über die Zeit nach der Geburt des Babys, so permanent schien Schprinzes Schwellung. Und auch wenn Ruby ständig auf ihren Bauch klopfte, um die Reife zu prüfen, das Ohr an den vorgeschobenen Nabel legte, um das Gurgeln von drinnen zu hören, und sie rieb wie eine Lampe, in der ein Geist gefangen war, glaubte er nicht, dass wirklich etwas hervorkommen würde. Natürlich besaßen beide werdende Eltern keinerlei Vorkenntnisse in diesen Dingen, und die Siedlung verfügte auch über keinen Arzt, der sie hätte beraten können. Andererseits verstanden fast alle Frauen hier etwas von Geburtshilfe.
    Als die Wehen einsetzten und Welle um Welle ein schrilles Winseln aus Schprinze hervorbrach, vergaß Ruby all seinen noch verbliebenen Stolz und überließ das Mädchen der Bewachung Abimelechs, um den Hügel hinunterzurennen und Hilfe zu holen. Offenbar hatten die Frauen schon darauf gewartet. Sie brachten Vorräte für fast jede Eventualität mit. Doch als sie oben ankamen, fiel der Haupthebamme, einer rumänischen Einwanderin mit tiefen Stirnrunzeln, ein, was sie vergessen hatten. Denn auf der Schwelle lag ein in ein Dattelblatt gewickeltes Geschenk: eine Pfahlwurzel in Form eines Seepferdchens. Erst schnüffelnd, dann leckend erkannte die Frau darin ein seltenes wehenanregendes Kraut. »Der kischef!«, verkündete sie. Ein Zauber! Sie wies ihre Helferinnen an, die Wurzel mit einem Stößel zu zermahlen, in ein Glas Minztee zu rühren und den Trank der Schreienden zu verabreichen, die kurz darauf ein Kind mit bleistiftdünnen Gliedmaßen und einem kürbisartigen Kopf zur Welt brachte - einen greinenden Jungen, den sie und ihr geliebter Dämon sogleich über alle Maßen ins Herz schlossen.
    Es gab keinen bestimmten Zeitpunkt, zu dem sich Ruby vollkommen von allen Kampfeinsätzen verabschiedete. Es war ein allmählicher Rückzug, bis er schließlich kein Krieger mehr war, sondern nur noch der Hirte einer kümmerlichen Schafherde, der am Rand einer Gemeinde wohnte, die ihn als Außenseiter betrachtete. Er hatte immer noch Verbündete bei der neuen Generation von Freiheitskämpfern, junge Männer in ausgestellten Hosen und Reitstiefeln, die an die Stelle ihrer verstümmelten und gefangenen Vorläufer getreten waren. Sie waren mit Legenden über die tödliche Durchschlagskraft des Ba’al schaticha aufgewachsen und glaubten fest daran, dass sich der alte Veteran zu gegebener Zeit wie ein Phönix aus der Asche erheben würde, um Israels Feinden den Gnadenstoß zu versetzen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit versuchten sie, sich bei ihm einzuschmeicheln; sie sangen sein Lob, wenn er in der Nähe war, und flehten ihn an, die Lücke zu schließen, die Yair Stern mit seinem Märtyrertod hinterlassen hatte. Aber Ruby würdigte sie nur selten einer Antwort. Außerdem hatte die Gegenwart von Revisionisten bei den Siedlern schon immer für Unmut gesorgt. Sie hatten die Kämpfer nicht um ihren Schutz gebeten, und jetzt mussten sie auch noch das tote Gewicht von Ruben ben Niemand tragen. Doch nach der Geburt seines Sohnes, als die Frauen der jungen Mutter zu Hilfe geeilt waren, änderte sich die Situation.
    Das zurückgezogene Paar weigerte sich zwar, seinen Nachwuchs dem Kinderhaus anzuvertrauen, um sich der Arbeit fürs Kollektiv widmen zu können. Doch aus Yudls Geburt und seinen launischen Forderungen ergab sich für die frischgebackenen Eltern die Notwendigkeit, sich Schritt für Schritt wieder in die Gesellschaft des Kibbuz einzufügen. Im Austausch gegen Kinderbrei, Windeln und die Chinintränke, die das Baby brauchte, nahm Schprinze wieder ihre Rolle unter den Sterblichen ein. Der verkniffen dreinblickende Säugling hing in einer Schlinge an ihrem Hals, während sie die Bücher in der jüngst eingerichteten Bibliothek der Kolonie ordnete und den kleinen hebräischen Bestand mit ihren jiddischen Texten infiltrierte. Damit sein Sohn nicht wie er als Paria betrachtet wurde, stellte sich Ruby für verschiedene Arbeiten zur Verfügung und bewies dabei wieder einmal das Basteltalent, das er von seinem versponnenen Papa geerbt hatte. Er konstruierte eine mechanische Vogelscheuche, um die Schädlinge von den Weinbergen zu vertreiben, nutzte seine Kenntnisse im Umgang mit Sprengfallen, um ein Loch für eine Regenwasserzisterne auszuheben, und baute in

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