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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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Paar schlenderte mit der Gemeinde auf der Kiesstraße zur Bewässerungsquelle. Begleitet von ihrem Sohn, der seit seinem briß ununterbrochen plärrte, teilte Schprinze eine Handvoll challa-Krumen mit ihrem Mann und lud ihn ein, mit ihr den Brauch des taschlich zu begehen. Dazu wurden die Krumen, die für die Sünden des vergangenen Jahres standen, in den Brunnen geworfen.
    »Besser wäre es«, sagte Ruby bei dem Gedanken an all die Jahre vor dem letzten, »ich würde mich als Ganzes hineinstürzen. « Aber Schprinze versicherte ihm, dass es ohnehin unwichtig war, weil an den heiligen Tagen das Buch des Lebens offen stand und daher niemand sterben konnte. Da schien es auf einmal, als wäre der Brauch, den sie befolgten, ihr wahres Leben, während sie nur in die Rolle von Dämon und Dämonin geschlüpft waren, um ihren privaten Stunden Würze zu verleihen.
    Bei der knapp vor Jom Kippur geplanten Aktion handelte es sich um einen Bankraub, für Ruby ein völlig sinnloses Unterfangen. Die britischen Besatzer, deren Tage in der Region offenkundig gezählt waren, hatten in jüngster Zeit zu verzweifelten Maßnahmen gegriffen. Nach Bombenanschlägen verhängten sie Ausgangssperren und riegelten mehrere Siedlungen ab, aber nichts half. Der Terror gegen ihre Truppen und Einrichtungen ging unvermindert weiter. Nachdem sie zu der Einsicht gelangt waren, dass die Wahrung des Friedens zwischen Arabern und Juden - mochten beide Sippschaften zur Hölle gehen! - die Mühe nicht wert war, waren die Briten kurz davor, ihre Zelte abzubrechen und sich für immer zu trollen. Aber das Direktorat der Lechi oder des Palmach oder irgendeines anderen Oberkommandos, von dem die Kämpfer inzwischen ihre Befehle erhielten, hatte beschlossen, dass das Alltagsleben immer wieder gestört werden musste, um zu beweisen, dass die Briten die Kontrolle verloren hatten.
    So brach Ruby an einem sengenden Septembermorgen, nachdem er sich schuldbewusst von Frau und Kind verabschiedet hatte, mit einer Gruppe unreifer Guerillas in einem alten, knatternden Landau mit Segeltuchdach nach Tel Aviv auf. Der stinkende Wagen war überfüllt mit jungen Burschen, die »Chasak chasak we nit chasak« - von Stärke zu Stärke werden wir stärker - schmetterten, bis sie ihr älterer Kamerad aufgrund der Autorität, die sie ihm verliehen hatten, zum Schweigen aufforderte.
    Nach unendlichen zwei Stunden kamen sie in der Stadt an und brachten es fertig, die gesamte Operation zu vergeigen. Der Überfall auf die Barclay’s Bank an der Nahalat Benjamin Street ging glatt über die Bühne, aber danach folgte die Katastrophe. Es war nicht unbedingt hilfreich, dass der unerschrockene Ba’al schaticha sich vor Angst erstarrt weigerte, den Wagen zu verlassen. Nachdem sie ihn als hoffnungslosen Fall aufgegeben hatten, banden sich drei Burschen, die selbst erprobte Verschwörer waren, Tücher vors Gesicht, betraten den Art-déco-Bau mit einem leeren Koffer und kamen einige Minuten später wieder vom Schrillen des Alarms begleitet heraus - zwei mit gezogener Waffe, der dritte mit dem von Piastern und Pfund Sterling überquellenden Koffer. Sie sprangen ins Auto und riefen dem Fahrer zu, aufs Gas zu steigen, aber dieser, ein Neuling, dem die Tränen aus den Kaninchenaugen strömten, hatte sich vielleicht vom Verhalten ihres berühmten Passagiers anstecken lassen, denn statt die vereinbarte Fluchtroute durch die Allenby Street zu nehmen, lenkte er den Wagen auf den nahe gelegenen Carmel Market. Er pflügte in eine Gruppe von Kunden vor einem Gazozstand und verletzte dabei mehrere, auch ein Mädchen in Hidschab, deren Beine unter den kreischenden Rädern zermalmt wurden. In dem anschließenden Handgemenge attackierte eine Menge aus Arabern und Juden, im Zorn ausnahmsweise vereint, den Wagen (der über und über mit Gemüse besudelt war) und zerrte die Insassen heraus. Der Bursche mit der Rollmütze, der die Beute an sich drückte, bekam einen Tritt in den Unterleib und ließ seine Bürde fallen. Der Koffer platzte auf, und blinkendes Bargeld quoll heraus. Blitzartig schlug der Zorn in Gier um, und die Menschen balgten sich um die flatternden Scheine. In dem allgemeinen Gewühl gelang es Ruby, sich zu Fuß zu entfernen. Unter der Strandpromenade ging er zwischen Seesternen und weggeworfenen »französischen jarmelkeß« in Deckung und wartete auf das Einsetzen der Scham, spürte aber nur Erleichterung, weil er zum Wohl seiner Familie davongekommen war. Nach Einbruch der Dunkelheit schlich

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