Der gefrorene Rabbi
Herde davongeschwemmt wurde.
Wenig später kam das Mädchen nach Tel Elohim. Dann musste der Hirte feststellen, dass er in der Zuneigung seines Freundes zurückgestuft worden war - und zwar ungefähr auf den Rang Abimelechs, dem Ruby hin und wieder einen Brocken hinwarf, der sich aber ansonsten selbst versorgen musste. Bald war der Jude nicht mehr allein und so ausschließlich auf dieses Zusammensein fixiert, dass selbst Iqbal, der sich sonst nie gescheut hatte, ihn aus seiner Einsamkeit zu reißen, einen weiten Bogen um die beiden Turteltauben schlug. Hin und wieder bemerkte Ruby allerdings, dass der Junge nicht völlig verschwunden war und beispielsweise in der Ferne wie ein Storch auf einem Bein stand und sich nachdenklich auf seinen Stab stützte. Doch nach einer Weile hielt er nicht mehr nach dem Hirten Ausschau und hatte die Existenz von Iqbal bin Fat Fat fast vergessen.
Inzwischen war Schprinzes Schwangerschaft zum Gesprächsthema der Kommune geworden. Jede Schwangerschaft war für den jischuw ein partizipatives Ereignis und jede werdende Mutter galt als Eigentum des gesamten Kibbuz, da das Kind, das sie unter dem Herzen trug, dazu bestimmt war, ein neuer Held der Arbeit zu werden. Auf diese Weise war die Vorstellung eines Menschheitserlösers in den Jargon der zionistischen Bewegung übertragen worden. Dass das betreffende Kind die Frucht einer nicht geweihten Verbindung war, war für die meisten nebensächlich. Aber da der Status seines Vaters in der Gemeinschaft zumindest zweifelhaft war, sahen sich die Siedler besonders dazu aufgerufen, die Mutter und ihren Nachwuchs für sich zu beanspruchen. Vor allem die Frauen zeigten ein großes Interesse an Schprinze. Diese Anteilnahme veranlasste das Mädchen dazu, sich umso stärker an ihren Gefährten zu klammern, unter dessen Dach sie inzwischen auch wohnte. So nahmen die Spannungen zwischen dem Außenseiterpaar und dem Clan während der Monate der Schwangerschaft stetig zu, und die beiden verließen nur selten den Umkreis seiner Ziegelhütte. Diese hatte sich in ihrem spartanischen Inneren ein wenig verändert, nachdem Ruby Regale für Schprinzes Bücher eingebaut hatte. Zudem verliehen jiddische Gegenstände wie Gewürzdosen und Kandelaber, die das Mädchen aus den von anderen Überlebenden weggeworfenen Sachen ausgewählt hatte, der Einrichtung der ehemaligen Mönchsklause eine gewisse Heimeligkeit.
Einen Beitrag zu dieser Wärme leisteten auch die Gerichte, die Schprinze ihrem Liebsten auf dem Primuskocher zubereitete. Da Kochen für sie jedoch weitgehend eine Scheintätigkeit war wie das Lesen, hinterließen die Frauen der Siedlung aus Sorge um das Ungeborene wieder anonyme Gaben vor der Tür. Diese bestanden in der Regel aus dickem tscholnt, Feigenkompott und Ragout. Allerdings tauchte gelegentlich auch ein unkonventionelleres Gericht auf: so zum Beispiel Schafsaugen in einer Marinade aus Kamelurin mit Zutaten, die in keiner jüdischen Speisekammer zu finden waren. (Diese kleinen Andenken, mit denen sich der arabische Hirte in Erinnerung brachte, wurden nur beiläufig zur Kenntnis genommen.) Während Ruby die Geschenke der Kommune als unerbetene Einmischung betrachtete, nahm Schprinze sie hin wie etwas, was ihr zustand, da die Besänftigung von Dämonen, wie sie wusste, eine lange Tradition hatte. Auf jeden Fall genossen sie die gemeinsame Häuslichkeit, und selbst Abimelech, der immer seine Unabhängigkeit geschätzt hatte, blieb nun in der Nähe des Hütte. Nachdem er die junge Frau in ihrem empfindlichen Zustand als seine Herrin anerkannt hatte, richtete sich der Hund als Hüter von Herd und Heim ein.
Abends zelebrierten sie beim Licht einer mottenumschwirrten Spirituslampe die Rituale ihrer Verbundenheit. Sie lasen Geschichten über die eigensinnige Tochter oder den tölpelhaften Sohn auf der Suche nach ihrem baschert, dem ihnen bestimmten Menschen. Dazwischen traten sie hinaus an die Luft, und Ruby hob Schprinzes Hemd, um mit ihrem aufgeblähten Bauch den zunehmenden Mond herauszufordern. Auf der Matratze, die das zu eng gewordene Feldbett ersetzt hatte, zeichnete das Mädchen mit den Fingern manchmal die Länge und Breite von Rubys Nacktheit nach. Sie verweilte bei seinen Narben, die alle von verschiedenen Orten herrührten, sodass ihre Betrachtung einer Rundreise durch das Heilige Land gleichkam. Und obwohl der Ba’al schaticha für Ruby inzwischen fast ein Fremder war, weckte der Druck ihrer Finger auf den alten Wunden die Erinnerung an jeden
Weitere Kostenlose Bücher