Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
Vom Netzwerk:
Erinnerung an seine Zeit mit Schwarzbrennern eine Destille zur Herstellung von Kartoffelschnaps.
    In seiner Abwesenheit streunten die vernachlässigten Schafe in fremde Wiesen, wo sie von feindseligen Nachbarn abgeschlachtet wurden, was aber niemanden weiter kümmerte, außer Ruby, der stumm betrauerte, dass sie höheren Prioritäten zum Opfer gefallen waren. Die Siedler verloren die Angst vor ihm und gelangten zu der allgemeinen Einschätzung, dass die Vaterschaft den Mörder gebändigt hatte. Er galt als geläuterter Mensch, dem alle ein wenig selbstgerecht vergaben. Und als der Rabbi bei seiner Reise auf einer alten Lastmähre durch die Gegend in der Siedlung haltmachte, wagten sie es sogar, Ruby die Beschneidung seines Sohnes nahezulegen. Aus seiner Sicht sprach nichts dagegen, vorausgesetzt, man erlaubte ihm, die Hand des lahmen alten Rabbis zu führen - »wie beim Schneiden eines Hochzeitskuchens«, bemerkte ein schelmischer Beobachter. Inspiriert durch diese Äußerung, schlugen die Siedler vor, dass der Rabbi dann auch gleich der Verbindung von Mutter und Vater seinen Segen erteilen könnte. »Sie können an der Vorhaut ziehen«, meinte derselbe Witzbold, »bis ein Traubaldachin daraus wird.«
    Da keine Zeit blieb, um die kurzfristig beschlossene Veranstaltung anzukündigen, fiel die Hochzeit eher bescheiden aus. Dennoch bestanden die wenigen anwesenden Frauen darauf, dass Schprinze, ob nun Jungfrau oder nicht, das kommunale Brautkleid trug, das sie sogleich änderten, um es ihrer nicht mehr ganz so jungenhaften Figur anzupassen. Gleichfalls zur Verfügung gestellt wurden ein viel benutzter, goldgefüllter Ehering und eine Karaffe Pflaumenbranntwein. Außerdem spielte der Mechaniker Kotik Gilboa auf Bitten der Braut »Roshinkeß med mandln«. Eine Handvoll Irgun-Mitglieder zog Streichhölzer um die Ehre, Trauzeuge des Ba’al schaticha sein zu dürfen. Der alte Rabbi wollte die Sache anscheinend möglichst schnell hinter sich bringen, und so war die Zeremonie in wenigen Minuten vorbei. Ruby zerdrückte das Glas mit dem Absatz, als würde er eine Maus zertreten, und küsste die Braut, während sich der kolikgeplagte Yudl wie Lava zwischen ihnen wand. Dann stießen die Gäste auf ihre Gesundheit an und zerstreuten sich. Nur ein ungeladener Besucher blieb in mehreren Hundert Metern Entfernung mit seinem Hund hinter einer Mispel stehen und beobachtete das Ganze mit missgünstigem Blick.
    Mit seiner vorsichtigen Rückkehr ins Leben der Siedlung verlor Ruby die Aura der Unnahbarkeit, und die jungen Eiferer des revolutionären Untergrunds rechneten sich Chancen aus, ihn für ihre Sache zu gewinnen. Inzwischen hatte sich die Stimmung des jischuw verändert, und selbst die moderaten Siedler waren dafür, den Abzug der Briten um jeden Preis zu beschleunigen. Die jahrhundertelangen Gräuel hatten einen unvorstellbaren Gipfel der Grausamkeit erreicht, und nun war es genug: Nieder mit den Amalekitern, wir wollen eine Heimat! Eigentlich war Ruby so erfüllt von Hingabe an seine Frau und seinen Sohn, dass er kaum die Vorstellung ertrug, sie auch nur einen Tag allein zu lassen. Doch als ihn die Burschen, von denen einige in der jüdischen Brigade in Europa gekämpft hatten und daher nicht einfach ignoriert werden konnten, um Hilfe baten, hörte er ihnen zu. Er winkte ab, als sie seine Teilnahme am nächsten taktischen Schlag als wichtigen Beitrag zur Hebung der Moral bezeichneten: Seine Tage als Soldat waren vorbei. Aber zuletzt versiegte sein Widerstand, und Ruby ließ sich in seiner neuen Eigenschaft als wohlgelittenes Mitglied des Kibbuz Tel Elohim dazu überreden, dieses eine Mal ihren Bitten nachzugeben.
    Es waren die Ehrfurchtsvollen Tage, an denen die Frischvermählten Äpfel und Honig aßen und in der engen, stickigen Kapelle dem Gottesdienst zum rosch-ha-schana-Fest beiwohnten. Schprinze trug die Handtuchschlinge mit dem Baby, das für Ruby fast zu einer zusätzlichen Gliedmaße geworden war; der riechende Yudl hätte leicht ein Hindernis für ihre Vertrautheit sein können, aber der junge Vater fand, dass das Gegenteil der Fall war: Er vergötterte Frau und Kind als ein einziges Wesen. Während es ihn anfangs amüsiert hatte, dass das unglückliche Gesicht des Säuglings etwas Dämonisches an sich hatte, war er inzwischen mit Schprinze der Meinung, dass der Junge mit jedem Tag normaler wirkte. Nach der drückenden Wärme in der schul war sogar die staubtrockene Luft der galiläischen Hügel erfrischend, und das

Weitere Kostenlose Bücher