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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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»lud ich Yudl bei seiner Grandma in ihrem Eissalon an der North Main Street ab und gestand ihr, dass ich ein Mörder bin. Sie erwiderte, dass sie eine Hure ist. Ich erzählte ihr, dass ich früher Jude war.
    ›Hob ich einmal doß auch gesogt zu deinem Papa.‹ Sie wiegte den kleinen pischer, den sie mit einer Zimtstange beruhigt hatte, auf dem Schoß. ›Und weißt du, woß er hot geantwortet?<
    ›Was?‹
    ›Hot er gesogt, war ich früher ein Buckliger.‹«

1950-2002
    A ls Julius (vormals Yudl) Karp noch ein Kind war und erst allmählich das Quenglerische seiner verwöhnten Säuglingszeit hinter sich ließ, erzählte ihm seine Großmutter Yokey, die im Pinch als »diese Eisperson« bekannt war, die Geschichte seiner Familie:
    »Josl König Cholera von Boibicz, woß hot geheiratet Chava Babtsche, die is gestorben bei der Geburt von Salo, den sie hobn Frostbissen genannt …« Sie hielt inne, um keuchend Luft zu holen. »Woß hot er geheiratet die spitzzüngige Bascha Pua, die hot zur Welt gebracht in Lodz zuerst die Zwillinge Jachne und Jojne, woß sie sind durchgebrannt nach Palästina, dann mich … Jochebed, die in Amerika mit meinem armen Mann Schmerl hot gezeugt deinen Vater Ruben Karp, der in erez Israel war ein heiliger Schrecken, bevor er wurde getraut mit seiner Frau, die gebißn fun a schlang war, schon nachdem sie hot geboren dich …«
    Mit ihrem kurz geschorenen Haar und dem Arbeitsanzug, dem Backenbart und dem Kamelhöcker berichtete das Mannweib dem kleinen Julius, was er lieber nicht erfahren hätte: Ein umglik hing über der Familie Karp, ein Fluch, der sie zu extremem Verhalten anstachelte. Doch so weit er zurückdenken konnte, hatte ihn der Vorsatz begleitet, dass dieser Fluch an ihm vorübergehen und vielleicht eine Generation überspringen sollte, obwohl er dann, Gott bewahre, natürlich seine Kinder heimsuchen würde. Nicht dass er an Flüche glaubte. Denn schon von klein auf war Julius auf dem besten Weg, ein zukunftsorientierter junger Mann zu werden, und hielt es daher für wenig einträglich, den Blick zurückzuwenden. Mit der Zeit vergaß er die meisten Namen aus dem Katalog seiner Großmutter, so wie er auch diese fast vergaß, obwohl sie ihn praktisch großgezogen hatte. Und er hatte auch keine genaue Erinnerung an die Wohnung, die er und sein verwitweter Vater mit seiner leicht verwirrten Grandma Yokey an einer baumreichen Straße in Memphis geteilt hatten.
    Julius’ Vater war nicht unbedingt ein einnehmender Mensch, nein, so hätte ihn sicher niemand bezeichnet, aber er war auch nicht hart oder grausam. Er hatte regelmäßige, wenngleich ein wenig schlaffe Gesichtszüge, und seine kleine Gestalt war stark und sehnig, aber er machte nie einen besonderen Eindruck auf Bekanntschaften und schien keine Leidenschaft zu kennen außer die, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. So konservativ war er in der Wahl seiner Kleidung (alles dampfgebügelt und sanforisiert), dass er fast getarnt wirkte, so zurückhaltend in seinem Benehmen, dass man ihn kaum wahrnahm; und obwohl Julius den Fleiß seines Vaters bewunderte und nachahmte, fand er manchmal etwas geradezu Berechnendes in seiner Gewöhnlichkeit - als würde er mit den Alltagsaufgaben eines gewöhnlichen Kaufmanns ein dunkles Ritual ausführen. Nach seinem wechselvollen Aufenthalt im Heiligen Land war er als Witwer in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, um seinen Sohn in einer weniger umkämpften Umgebung aufzuziehen.
    Eine Zeit lang schaufelte er Eiskugeln in der westentaschengroßen Eisdiele seiner Mutter, die sich dort nicht wie eine Limonadenverkäuferin gebärdete, sondern wie eine Geisterbeschwörerin. Doch als es mit dem Geschäft genauso bergab ging wie mit allen anderen an der North Main Street, bat Ruben seinen Onkel Marvin um eine Stelle. Marvin Karp hatte nie viel von seinem Neffen gehalten, aber der Bursche (inzwischen Mitte dreißig) war nach seiner Rückkehr aus dem Ausland anscheinend ein wenig zur Vernunft gekommen. Um Rubens Mutter einen Gefallen zu tun, nahm Marvin ihn in sein Haushaltsgerätegeschäft auf, dem Nachfolger der alten Gemischtwarenhandlung in einem Einkaufszentrum im Osten der Stadt. Der Laden war schon immer gut gelaufen, doch auch dank Rubens technischem Geschick konnte er sich einen Ruf für herausragenden Kundendienst und Zuverlässigkeit erwerben und sich auf diese Weise von der Konkurrenz absetzen. Ruben war zwar nie besonders freundlich im Umgang mit Kunden, aber er übernahm bereitwillig den

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