Der gefrorene Rabbi
Einbau und die Reparatur von Geräten am Ort und hielt sich immer auf dem Laufenden über die neuesten Fortschritte bei Kompaktgefrierschränken, Umluftherden und Mixern. Als der älter werdende Marvin später seinem Ruhestand entgegensah, ließ er Ruben als Teilhaber ins Geschäft einsteigen. Und mit Beginn seines Rentnerlebens verkaufte er ihm auch noch den restlichen Anteil. Karps Haushaltsgerätegeschäft war zwar noch nicht die Institution, zu der es unter Julius’ Regie werden sollte, aber der Laden florierte auch schon unter Rubens Leitung. Er überlebte den allgemeinen Kollaps der städtischen Wirtschaft nach der massiven Abwanderung der weißen Bevölkerung ins Umland.
Als Julius nach ein paar ereignislosen Jahren am College auf Einladung seines Vaters im Familienunternehmen begann, zeigte sich sehr schnell, dass der junge Mann zu seiner Berufung gefunden hatte. Seine aufgeschlossene Persönlichkeit war das Gegenteil von Rubens Zurückgezogenheit, und die Kunden gingen voller Wohlwollen auf seine Begeisterung, seine Reklamesendungen, seine Werbesprüche und seine zahlreichen Verkaufsaktionen ein. Auf seine Initiative hin wurde eine Discountfiliale eröffnet, die schon bald so lukrativ war wie das Stammhaus. Zuerst freute sich Julius darauf, neben seinem Vater zu arbeiten und sein Potenzial zu beweisen, doch obwohl Ruben seinen Sohn für seine zupackende Art lobte, blieb er genauso freundlich zurückhaltend wie früher. Oft schämte sich der Sohn für die Unterwürfigkeit seines Vaters, der die ungerechten Klagen eines Kunden völlig passiv über sich ergehen ließ, und fragte sich, ob dieses Verhalten vielleicht weniger auf dem Bemühen um Schicklichkeit beruhte als auf Ängstlichkeit.
Beirrt wurde er in dieser Einschätzung allerdings durch einen Vorfall in den gesetzlosen Tagen nach dem Mord an dem Mann, in dem die Farbigen eine Art schwarzen Moses sahen, als es in der ganzen Stadt zu Unruhen und Plünderungen kam. Im Wesentlichen beschränkten sich die Ausschreitungen auf die Gettos, doch einige Plünderer wagten sich auch in andere Gegenden, um zu beweisen, dass es nirgendwo mehr sicher war. So war es an einem Nachmittag, als ein Auto mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz von Karps Haushaltsgeräte bog und die Türen knallten. Julius bemerkte, dass sein sonst so unbeteiligter Vater auf einmal merkwürdig wach wirkte. Ohne ein Wort der Erklärung trieb der Vater den Sohn hinter eine Ladentheke und forderte ihn auf, sich neben ihn zu kauern. In diesem Moment stürmten zwei Männer in den ansonsten leeren Laden.
»Keiner daheim«, rief einer, und der andere ergänzte: »Da müssen wir uns wohl selbst bedienen.« Dann folgte das Geräusch von zerberstenden Waren. Julius, der sich nicht erinnern konnte, seinem Vater jemals so nahe gekommen zu sein, roch eine Ausdünstung, die er mit Furcht in Verbindung brachte. Plötzlich spähte ein flachnasiger Typ mit einem Zahnstocher im wolligen Haar über den Tresen. Er hatte einen Minikühlschrank im Arm, auf dem eine Brechstange lag. »Ja, wen haben wir denn da?« Der andere, ein Kerl mit Sonnenbrille und Schrotflinte, näherte sich. »Sieht aus wie zwei faschistische Schmeißfliegen.« Er streckte die Stiefelspitze vor, um den versteinerten Julius in die Rippen zu stoßen.
Daraufhin geschah etwas völlig Unerwartetes. Sein Vater fiel über den Eindringling her und schlug ihn nieder, ohne auf das Gewehr zu achten, das klappernd über den Boden schlitterte. Kaum hatte er den einen außer Gefecht gesetzt, als er sich bereits auf den anderen stürzte, der nicht weglaufen konnte, weil ihm der Kühlschrank aus der Hand gerutscht und auf den Fuß gefallen war. Nachdem er die beiden Vandalen im Rekordtempo unschädlich gemacht hatte, wusste Ruben Karp offenbar nicht, wohin mit seiner übrig gebliebenen Wut. Brüllend wie ein Berserker stand er über ihnen und krümmte immer wieder die Finger, als wollte er die Luft würgen. Blutverschmiert und ächzend schleppten sich die Männer aus dem Laden. Danach glättete der Besitzer die Falten in seinem Anzug und legte eine Sanftmut an den Tag, die sogar noch sein bisheriges Benehmen übertraf. Obwohl er es für angemessen gehalten hätte, spürte Julius weder Dankbarkeit noch Ehrfurcht. Aber von diesem Zeitpunkt an betrachtete er seinen Vater mit erhöhter Vorsicht.
Insgesamt waren es jedoch gute Jahre für Julius Karp, und so war es folgerichtig, dass er heiratete und eine Familie gründete. Käsig und lethargisch war
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