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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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jährlichen Anteil an Israel-Anleihen erwarb, hatte er keine echte Beziehung zur sogenannten jüdischen Heimat. Sein Platz war hier, im Süden der USA, wo er einer Reihe von Bruderschaften angehörte und voller Eifer an ihren Spendensammlungen teilnahm. Sosehr sich Julius aber eine Renaissance seiner vom Niedergang gezeichneten Stadt wünschte, er fand es auch gut, dass das Weltgeschehen keinen zu starken Einfluss auf die örtlichen Angelegenheiten hatte. Daher war er auch erleichtert, dass sich das Relikt aus der Tiefkühltruhe - obwohl sein Auftauen pervers war - sogleich an das Klima der Zeit anpasste und dass seine Botschaft, wiewohl im Kern unverändert spirituell, nicht den Grundwerten des Marktes widersprach.
    Und es änderte nichts am Status quo, dass sich diese Botschaft in ein einträgliches Geschäft umsetzen ließ, von dem auch Julius Karp als Hauptinvestor und Finanzberater des Rabbis profitierte. Der Gewinn war sogar so hoch, dass er mit dem Gedanken spielte, das Haushaltsgerätegeschäft zu verkaufen, um sich mit all seinen Kräften dem Haus der Erleuchtung zu widmen. Doch in letzter Zeit hatte die Stadtverwaltung ein kritisches Auge auf das Unternehmen des Rabbis geworfen. Es kursierten hysterische Gerüchte, und in den Leitartikeln des Commercial Appeal war viel Staub aufgewirbelt worden. Die Bluthunde der Zeitung verlangten eine schonungslose Offenlegung aller Geschäftsdaten des Hauses - die trotz Ira Grusoms Fähigkeiten im Frisieren von Bilanzen über jeden Zweifel erhaben waren. Dennoch fragte sich Julius allmählich, ob er sich durch die Zusammenarbeit mit dem aufgetauten alten Hausierer nicht vielleicht einen Bärendienst erwiesen hatte. Andererseits konnte er sich nicht einfach zurückziehen, dazu war sein Anteil am Haus der Erleuchtung zu groß. Dazu kamen weitere kleine Vorteile, die sich schwer definieren ließen, nicht zuletzt das stärkende, fast erhebende Gefühl, das die Verbindung mit dem rebbe in Julius’ bügelfreier Hemdbrust geweckt hatte. Ganz zu schweigen von dem Seelenfrieden, den Mrs. Karp unter dem Einfluss des Rabbis und vor allem in seinen Zen-Judaismus-Seminaren gefunden hatte. Tatsächlich war mit der Beziehung zu Rabbi Elieser ben Zephir ein völlig neues Kapitel in den Annalen der Familie Karp aufgeschlagen worden.
    Doch jetzt saß Ira Grusom, Julius’ zuverlässiger Buchhalter, der das Haus der Erleuchtung auf so nachdrückliche Weise unterstützt hatte, auf der anderen Seite des Schreibtischs und riet seinem Chef zu einem radikalen Ausstieg, solange sich die Verluste noch im Rahmen hielten.
    »Welche Verluste?« Julius war verblüfft, denn der Beweis für das blühende Geschäft mit der Erleuchtung blinkte ihm in unmissverständlichem fiskalischem Glanz vom Computerbildschirm entgegen. Er drehte den Monitor zu Grusom.
    Der Buchhalter mit den hängenden Wangen und dem zwiebelförmigen Rumpf würdigte die Zahlen keines Blicks. »Die Verluste, die wir erleiden, sobald die Kacke am Dampfen ist.«
    Julius kannte Grusom als vorsichtigen Menschen, der kein Wort zu viel sagte. Trotzdem wollte er einfach nicht wahrhaben, dass dem herrlichen Hokuspokus des Rabbis das letzte Stündchen geschlagen hatte.
    Eine Woche später saß der Haushaltsgerätefuchs in seinem Büro und grübelte noch immer über die Situation nach. Plötzlich klopfte es an der offenen Tür. Als er die Brille zurück auf die Nase geschoben hatte, erblickte er ein schlankes Mädchen mit hohen Wangenknochen und Ponyfransen, die aussahen wie die Zähne eines Regenbogenkamms. Mit ihrer betressten Militärjacke wirkte sie, als wäre sie einer komischen Oper entsprungen. Dann legte sie mit dem Zeigefinger an und beschuldigte ihn, Bernie Karps Dad zu sein.
    »Wen interessiert das?« Er fragte sich, was diese merkwürdige junge Person mit ihm zu tun haben könnte. Da er jedoch nicht von Natur aus misstrauisch war, gab er nach. »Okay, auf frischer Tat ertappt. Was kann ich für Sie tun?«
    »Haben Sie denn nichts gehört?«
    »Ich bekenne mich schuldig.« Julius gab sich weiterhin gut gelaunt. »Was gehört?«
    Unaufgefordert schlurfte sie ins Büro und ließ sich auf den einzig verfügbaren Stuhl plumpsen, auf dem sie sofort rastlos hin- und herschaukelte, obwohl der Stuhl völlig unbeweglich war. »Der Bürgermeister war im Fernsehen«, verkündete sie ein wenig atemlos und inspizierte dabei die türkisfarbenen Zehennägel ihrer sandalenbewehrten Füße. »Hat angeordnet, dass das Haus der Erleuchtung bis auf

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