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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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der Soap-Opera Love Bytes los, die er stets gewissenhaft verfolgte, und ließ sich dazu herab, Bernie die eine oder andere Abkürzung zur Erleuchtung zu verraten.
    Er bat den Jungen, sich auf den Teppich zwischen ihm und dem Fernseher zu setzen, den er leiser machte, aber nicht abschaltete. »Jeder, der sucht ständig Dinge, woß sie sind zu schwer für ihn oder vor ihm müssen verborgen sein, is besser, dass er nicht geboren wird.« Dies vorausgeschickt, eröffnete er Bernie, dass es drei Kriterien für das Studium mystischer Schriften gab: Erstens musste man mindestens vierzig Jahre alt sein, Frau und Familie sowie einen Wanst haben, zum Schutz gegen unfreiwillige Levitation. »So viel wie ich weiß, nur den Bauch du hoßt.« Und selbst dieser war in jüngster Zeit geschrumpft. Dann erzählte Elieser von dem warnenden Beispiel der vier Rabbis, die das Paradies betraten. Einer fiel tot um, einer wurde meschugge, der dritte schwor seinem Glauben ab. Nur der weise Rabbi Akiba kam mit heiler Haut davon - »und bist du nicht Akiba, tajerinker«. Doch da der Junge in seiner Verzückung verharrte und nicht die geringste Neigung zeigte, auf seine Mahnungen zu hören, stieß der Rabbi einen Seufzer aus und begann, den Begriff des ez chajim zu erklären: den Lebensbaum, dessen Äste sefirot hießen und den Sprossen der Jakobsleiter entsprachen, die ihrerseits bestimmten Astralreichen entsprachen.
    »Die Sprossen sind sie, woß weiß ich, schojn farfojlt. Nu? Ganz verfault. Der Flinke, kann er noch steigen, aber vom Gewicht sie brechen jede Sprosse, woß es heißt, dass du nicht kommst zurück …«
    Trotz des wirren Satzbaus und der fremden Begriffe klangen Eliesers Worte melodisch für Bernie, der andächtig an seinen Lippen hing, ohne die durchsickernden TV-Dialoge zu registrieren. Auf diese Weise wurde der Junge an mehreren Tagen, über deren genaue Zahl er den Überblick verlor, in bestimmte Mysterien eingeführt. Er lernte die kabbalistischen Konzepte kawana und devekut kennen, völlige Hingabe und Verbindung des menschlichen Denkens mit der Gottheit, die es dem Wissenden gestatten, sich mit affenartiger Behändigkeit von Ast zu Ast des Lebensbaums zu schwingen. Er hörte vom zimzum, von Gottes Rückzug aus seinem eigenen Universum, nach Art eines empörten Hausherrn, der die Mieter, die die Wohnung verwüstet haben, nicht hinauswirft, sondern türenknallend davonstürmt. Der Krach, den dieser Abgang auslöste, war der Urknall, die schevira, nach dem das ganze Kartenhaus einstürzte und aus dessen Schutt eine Staubwolke zum Himmel aufstieg, die den Herrn zum Niesen brachte. Der Funkenschauer, der diesem Ptarmus folgte, setzte sich überall in den Ritzen der Trümmer fest, und es ist unser Schicksal, für das Geschenk von Gottes leuchtendem Rotz immer wieder gesundhajt zu sagen und diese verborgenen Funken aufzuspüren. Wenn wir aus ihnen dann ein Feuer entfacht haben, erhalten wir genügend Licht, um die gefallene Welt in ihrem früheren Glanz wiederherzustellen.
    »Is doß auf Erden unsere Pflicht.« Mehr als nur eine Andeutung von Langeweile lag in Eliesers Stimme.
    Natürlich war diese Welt nur eine von mehreren verschiedenen, und nicht die geringste davon war jene welt, das Jenseits, das von Geschöpfen bevölkert war, die zugleich ungezähmter und komplexer waren als wir. Dieses Reich überschnitt sich mit unserem, und seine Bewohner drangen bisweilen in uns ein, entweder in Form von dibukim, bösen Geistern, die ihre Wohnstatt in den Organen und Leibesöffnungen der Lebenden nahmen, oder als ibburim, die sich in jüngst Verstorbenen niederließen, um ihre auf Erden vernachlässigten mizwot zu vollenden. Es gab schwindelerregende Kategorien von Dämonen, zu denen unter anderem die Spaßmacher gehörten, die der Seele auf ihrer posthumen Reise ins künftige Reich Streiche spielten. Sie warfen die Gesetze der Reinkarnation, des gilgul, wild durcheinander, um die von den verschlungenen Pfaden des Jenseits bereits verwirrten Seelen vom rechten Weg abzubringen.
    »Von unten der jejzer hore, doß Verlangen, bewirkt er die Vollendung oben.« Elieser musste ein Gähnen unterdrücken.
    Der Junge lauschte seinen Worten und begriff, dass all seine bisherige Lektüre nur amateurhaftes Brüten gewesen war. Er erfuhr von der wahren Bedeutung der Thora, die die Seraphim erzeugt hatte. Durch die Thora wurden alle Welten erhalten, und niemand hätte das Gesetz erblicken können, wenn es sich nicht in die Gewänder der Welt

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