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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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zusammen, dass sein Vater zu seinen jüdischen Wurzeln zurückkehren wolle - die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln war eine Mode, die in Interviews mit Prominenten gern beschworen wurde. Weshalb er nicht zugab, dass er selbst das Gekritzel seines Großvaters in dem Kontenbuch entziffern wollte, hätte er nicht angeben können, doch instinktiv war er darauf bedacht, keinen Verdacht zu erregen. Außerdem hatte er gerade erst herausgefunden, dass er ein Talent zum Ausschmücken der Wahrheit besaß, und empfand es als erfrischend, wie sich sein Potenzial mehr und mehr entfaltete. Seine Antwort führte lediglich dazu, dass die raupenartige Braue der Bibliothekarin nach oben schnellte.
    Zu Hause war er frustriert von der anfänglichen Unergründlichkeit der Grammatik und dachte, dass er nie über den alef-bejß hinauskommen würde, doch mit verbissener Ausdauer erzielte er nach einer Weile erste Fortschritte. Zwar blieb Bernie die stachelige Handschrift in dem vergilbten Kontenbuch seines Großvaters Ruby weiterhin verschlossen, aber immerhin konnte er nun rekonstruieren, was der Rabbi in der Nacht gesagt hatte, als er aus der Gefriertruhe gefallen war. Beim Anblick des hartfasergetäfelten Raums, der Sitzsäcke und der Bowlingkegellampen hatte sich der alte Herr gefragt, ob er tot und die isolierte Truhe sein Sarg sei. War er endlich mit Leib und Seele in gan ejdn eingetroffen, im Paradies?
    Und war Bernie, so hatte er gefragt, ein saftiger malech?
    »Nit kejn malech, Rabbi«, hätte Bernie ihn bei einer Wiederholung der Szene belehrt. »Ich bin kein Engel. Ich bin a jiddischer jingl.«
    Jetzt tat es ihm fast ein wenig leid, dass der Rabbi von seinem anfänglichen Irrtum befreit worden war. Gern hätte er die Feststellung, dass sich Rabbi Elieser nicht im Paradies befand, sondern in Tennessee, wieder zurückgenommen.
    Bernie war nie mehr als ein mittelmäßiger Schüler gewesen, unmotiviert und faul. Doch jetzt trieb ihn die Suche nach einem Wissen an, das ihm die Herkunft des alten Elieser erklären konnte. Auf dem Karosofa neben dem quäkenden Fernseher las er Jiddisch: Eine kleine Enzyklopädie und Die Welt unserer Väter . Diese Bücher gehörten zur standardmäßigen Ausstattung jüdischer Haushalte in Amerika, waren aber von seinen Eltern anscheinend nie aufgeschlagen worden. Er las Abba Ebans Das Erbe , eine reich bebilderte Geschichte der Juden und Begleitband zu einer Fernsehserie. Doch Bernie machte sich nie die Mühe, die in der Synagogenbibliothek erhältlichen Videos auszuleihen, denn es hätte kaum Gelegenheit gegeben, sie auf dem Videorekorder im Keller anzusehen, ohne die Sendungen des Rabbis zu unterbrechen, und außerdem zog er das geschriebene Wort allmählich dem Videobild vor. Unzufrieden mit den eher allgemeinen Texten aus den spärlich bestückten Regalen seiner Eltern, schleppte er (zum stummen Missfallen der Bibliothekarin) aus der Synagoge mehrere modrige Bände von Heinrich Graetz’ Geschichte der Juden nach Hause. Zunächst machte er sich nur zögernd daran, weil er sich auf diesen forensischen Seiten wie ein Eindringling vorkam, doch dann verschlang er sie genauso gierig wie damals vor dem Auftauen des Rabbis die Doughnuts. Anscheinend war das Verlangen nach körperlicher Nahrung sogar verdrängt worden durch seinen erwachenden geistigen Appetit.
    In Graetz’ Geschichte fanden sich Hinweise auf andere Texte von zweifelhaftem Ruf mit bizarren Titeln wie Die Narrenkappe des Rabbi Jaja oder Das Buch des Gesichts . Der Autor des gewaltigen Geschichtswerks verspottete diese Bücher als Humbug, doch auf den Jungen, der durch den Umgang mit dem eigenwilligen Rabbi eine Vorliebe für exotische Perspektiven entwickelt hatte, übten sie einen starken Reiz aus. Es handelte sich um Bände über hermetische Geheimnisse und verbotenes Wissen, von denen Bernie einige - das sefer ha-bahir und das sefer jezira - zu seiner Überraschung in gekürzter Übersetzung in der Synagoge fand. Doch als er sie ausleihen wollte, tat die Bibliothekarin ihre Missbilligung mit einem Schniefen kund und bat ihn zu warten. Dann marschierte sie aus dem grell erleuchteten Raum und kam einige Minuten später mit Rabbi Birnbaum persönlich zurück. Er war ein Mann in mittleren Jahren mit einem Haarteil und künstlicher Sonnenbräune. Das am leicht verschrumpelten Hals geöffnete heliotropfarbene Hemd gab den Blick frei auf eine goldene mesusa.
    »Nun … Bernie, so heißt du doch?« Er legte dem Jungen eine ringbeladene Hand auf

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