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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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müssen. Die Empfangsdame hatte ihm zwar versichert, dass während einer Sitzung niemand das »Allerheiligste« betreten oder verlassen durfte, aber er konnte seine Neugierde nicht im Zaum halten. Als die Turbanlady zu ihrer Lektüre zurückkehrte, stahl Bernie sich zum Vorhang und schob ihn einen Spalt auseinander.
    Der niedrige Raum dahinter, wahrscheinlich ein ehemaliges Tanzstudio, war von Spiegeln umringt. Darin saßen auf Yogamatten vor dem Rabbi ungefähr zwanzig Frauen, zumeist mittleren Alters, zum Teil aber auch jünger, einige davon geschmeidig wie Windhunde, zwei im letzten Stadium ihrer Schwangerschaft. Auch eine Handvoll Männer war anwesend, vielleicht treu liebende Gatten, die gegen ihren Willen mitgeschleppt worden waren, wenngleich sie nicht weniger gebannt schienen als die Damen. Eine durchaus beeindruckende (durch die Wandspiegel bis ins Unendliche vermehrte) Teilnehmerzahl, wenn man bedachte, dass die Eröffnung des Meditationszentrums erst wenige Wochen zurücklag - ein Beleg für den Erfolg der von Julius Karp angestoßenen Werbekampagne. Rabbi ben Zephir ruhte leicht erhöht auf einem überzähligen Kunstledersessel der Karps, dessen Falten die Furchen im Gesicht des Alten reproduzierten. Er trug einen weißen Satinkittel mit Gürtel und schwang sein Funkmikrofon wie ein Zepter. Die schicke kippa saß schräg auf dem grauen Haupt wie beim Affen eines Leierkastenmanns. Statt eines Gebetsmantels zierte ein Lei mit einem tropischen Blumenmuster seinen Truthahnhals; den verwitterten Strohbesenbart umrankten einzelne Blumen.
    Die Frauen waren in Trainingsanzüge und Gymnastikshorts gekleidet, einige in Elastanbodysuits mit Gazeröckchen. Alle lauschten mit vor Konzentration geschlossenen Augen, als der Rabbi verschiedene Gebete trällerte. Bernie erkannte in diesen Gebeten einen Mischmasch aus selichot zur Buße, verpackt in Bruchstücke des kaddisch und des el male rachamim. Dann sang der Rabbi leiernd das ani le-dodi we-dodi li, »Ich bin meines Minners, mein Minner ist mein«, aus dem Hohelied, wiederholte es immer wieder wie ein Mantra und ermunterte seine Möchtegernjünger, es ihm gleichzutun. Bernie, dem solche Gebete zur zweiten Natur geworden waren, fragte sich, ob die Leute hier überhaupt wussten, was sie da nachplapperten. Nur ein oder zwei Gesichter wiesen eine dunklere, semitische Farbe und Form auf, doch insgesamt machte die Versammlung nicht unbedingt einen jüdischen Eindruck. Aber das spielte gar keine Rolle, denn der hypnotische Singsang des Rabbis konnte offenbar auch ohne Verständnis eine kollektive Euphorie hervorrufen - wie an mehreren verzückten Frauen zu erkennen war. Einige wenige ließen unter ihren tocheß sogar Schatten erkennen, die bewiesen, dass sie in der Luft saßen.
    Die Empfangsdame trat heran und zog mit einer prüden Geste den Vorhang zu, als wollte sie etwas Anstößiges verhüllen. Doch kaum hatte sie Bernie mit ihrem zugeknöpften Lächeln zu etwas Geduld ermahnt und war an ihren Platz zurückgekehrt, als der Vorhang von innen geöffnet wurde. Die Sitzung war vorüber, und die Schüler des Rabbis strömten ins Vestibül. Die meisten schienen noch halb in Trance wie Kinobesucher nach einem Film. Einige hatten jedoch die Geistesgegenwart, um vor dem Schaukasten zu verharren und Artikel bei der Rezeptionistin zu erwerben, die nun als Verkäuferin fungierte.
    »Aber, Hepzibah«, flehte eine mondgesichtige Frau, deren Strumpfhose über den Beinstulpen aussah, als wäre sie voller Hüttenkäse, »du weißt doch, dass ich kein Hebräisch kann.«
    Die offensichtlich gut vorbereitete Hepzibah versicherte ihrer Kundin, dass dieses Wissen überschätzt wurde, wenn nicht gar völlig überflüssig war. »Wie der rebbe sagt: ›Die Kraft liegt in den Händen und Augen.‹ Du musst nur die Buchstaben mit den Fingern nachfahren, damit ihre heilende Kraft in deine Seele eindringt.« Als eine andere nachfragte, ob der unverschämte Preis für einen Gebetsmantel tatsächlich stimme, wurde sie belehrt, dass dessen rituelle Fransen mit Indigo gefärbt waren, das aus der ausschließlich auf dem Grund des Ägäischen Meers vorkommenden Purpurschnecke gewonnen wurde. »Das kannst du im vierten Buch Mose 15, 38 nachlesen.«
    Da Hepzibah abgelenkt war, nutzte Bernie die Gelegenheit, durch den Vorhang ins sogenannte Allerheiligste zu schleichen. Die Wände waren mit hebräischen Lettern auf Spruchbändern gesäumt, die wie Militärstandarten wirkten. Auf beiden Seiten jeweils von

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