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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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Seiten mit Bedrohungen konfrontiert.
    Er suchte auch nicht mehr die Gesellschaft jener traurigen Fälle, die ihren Gürtel gleich unter den Achseln trugen und, weil sie sonst nirgendwohin passten, zueinanderfanden. Für einen Einzelgänger wie Bernie Karp gab es keine Zuflucht - weder im Klassenzimmer, wo schon Wetten auf den baldigen Zusammenbruch der erschöpften Lehrerin abgeschlossen wurden, noch in der Bibliothek, wo die Hausaufgabenbetreuer wie Gefängniswärter durch die Gänge patrouillierten.
    An diesem bestimmten Nachmittag kurz nach der Rückkehr des Rabbis blätterte Bernie in Ermangelung mosaischer Texte in einer Nummer des National Geographic, mit Fotos von Aborigines, um sich um seine Hausaufgaben in Haushaltstechnik zu drücken. (Aufgrund seiner schwachen schulischen Leistungen war er als Dummkopf kategorisiert und zum Gulag der Fachausbildung verdonnert worden.) Als er sich in seiner Langeweile umschaute, jeden Blickkontakt vermeidend, bemerkte er an einem benachbarten Tisch die berüchtigte Patsy Bobo, die auf dem zerfransten Ende eines peroxidblonden Zopfs herumkaute. Ihre Beine unter dem Tisch waren leicht gespreizt, um Platz zu schaffen für die Spinnenfinger von Scutter Eubanks, die sich auf ihrem zarten Oberschenkel unter dem Rock hinaufarbeiteten zu der Nahtstelle, die das fleischgewordene Mysterium war. Bernie wurde schwindlig, und erschauernd spürte er das vertraute Brausen in den Lenden, verbunden mit einem Druck, der auf eine seismische Entladung zusteuerte. Hilflos kämpfte er gegen den drohenden Ausbruch an und malte sich aus, wie er versuchte, den Fleck mit einem Hemdzipfel zu verbergen. Doch als sich sein ganzer Körper schon für den unvermeidlichen Krampf wappnete, kehrte sich der Druck nach innen, und Bernie wurde aus seiner Haut katapultiert. In der anschließenden Stille betrachtete er die Anwesenden im Saal, zu denen auch sein regloser Körper gehörte, mit den Augen der Seele aus der Perspektive der Ewigkeit.
    Dies war das erste mehrerer solcher Erlebnisse, die Bernie jedes Mal in ein strahlendes Reich entführten, mit dem verglichen seine sexuelle Sehnsucht eher belanglos wirkte. Und Sex war auch nicht der einzige Anstoß für diese ätherischen Ausflüge. Ein Melodiefetzen aus einem offenen Fenster, ein im Wind wehendes Bonbonpapier, ein rotes Band, das wie eine Schlangenzunge aus dem Astloch eines verdrehten Baums flatterte - all dies konnte zum Auslöser einer spontanen außerkörperlichen Erfahrung werden. Wenn Bernie in diesem Taumel versank, blieb natürlich sein Körper zurück und erschien einem normalen Beobachter so dumpf und bewusstlos wie das Opfer eines Schlaganfalls. Er reagierte nicht mehr auf die Fragen der Lehrer und war der Boshaftigkeit seiner Mitschüler schutzlos ausgeliefert, die ihn misstrauisch beäugten und ihn wie eine Witzfigur behandelten. So kam es, dass sich seine verlassene Gestalt Übergriffen ausgesetzt sah und beispielsweise mit Magic-Marker-Graffiti verziert oder wie ein Vogel mit unfreundlichen Botschaften auf gelben Post-it-Zetteln gefiedert wurde. Es konnte passieren, dass er in seinem kataleptischen Zustand zu den Urinalen geschleppt und ihm dort der Kopf geduscht wurde. Danach verströmte er tagelang einen Geruch, der sich mit keinem Shampoo vertreiben ließ. Nicht dass es Bernie in seiner Verzückung viel ausgemacht hätte, was mit seinem physischen Selbst geschah. Doch bei seiner Rückkehr - und er musste ja immer zurückkehren - empfand er stets tiefes Mitleid wegen der Kränkungen, die sein Körper in seiner Abwesenheit hatte erdulden müssen. Statt sich jedoch im Geist beleidigt zu fühlen, empfand er den Missbrauch eher als eine Verfolgung, die seinen außerweltlichen Fahrten einen ergreifenden Sinn verlieh. Allerdings erforderte diese gelegentliche Absenzbeziehung zu seiner sterblichen Hülle Fähigkeiten, die er erst noch meistern musste; und der Anblick seines verlassenen Körpers hatte den einen oder anderen Lehrer bereits dazu bewogen, eine medizinische Betreuung zu empfehlen. Um zu erfahren, wie er seine Flüge mit mehr Geschick und Takt bewerkstelligen konnte, schluckte Bernie seinen Stolz hinunter und machte sich auf den Weg zum Geschäftssitz Elieser ben Zephirs, um das Boibiczer Wunder um Rat zu fragen.
    Bis dahin hatte Bernie einen weiten Bogen um die Einkaufsmeile gemacht, in der der Rabbi sein Haus der Erleuchtung etabliert hatte. In Wahrheit empfand er den Auszug seines Mentors als schmählichen Verrat und hegte einen

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