Der gefrorene Rabbi
Alten heimzuzahlen. »Sozusagen.«
»Masl tov«, antwortete der Rabbi. Allerdings war für Bernie nicht zu erkennen, ob er ihm zu seiner Freundin oder zu seinen ironischen Fähigkeiten gratulierte. »Hoßt du sie schon geschtupt?«
»Wie bitte?«
»Woß is mit dir?« Der Alte wirkte besorgt. »Bist du mit ihr noch kein Mann? Bist du alt genug, dass du benutzt deinen poz. Also, jingl, vielleicht du brauchst meine Pillen?«
Um wieder etwas Boden unter die Füße zu bekommen, fragte Bernie seinen Mentor voller Ernst: »Das ist also wichtig? Das schtupn?«
»Woß sonst?«, entgegnete der Rabbi lebhaft. »Sex für den armen Mann is es sein dawnen. Natürlich es gibt auch doß Essen und doß Trinken und den chuzpedik Stuhlgang, aber doß schtupn! Schtupe ich fast jeden Abend, fast an dem Montag, fast an dem Dienstag …«
Das Kichern der Damen klang wie ein Glockenspiel.
Völlig erschlagen versuchte sich Bernie daran zu erinnern, dass dies Rabbi ben Zephir war, der Wunderrebbe, den er aus der Tiefkühltruhe geborgen und dem er blindlings vertraut hatte. »Lou Ella …« Er verstummte und hätte ihren Namen am liebsten wieder zurückgenommen.
»A schikße?«
»Spielt das eine Rolle?«
Erneut bleckte der Rabbi seine falschen Zähne, die glitzerten wie Eier in einem Nest, und ließ kurz die Augen wandern, um die Mannigfaltigkeit seiner Betreuerinnen anzudeuten.
Ein wenig besänftigt fuhr der Junge mit seinen Bekenntnissen fort. War er deswegen hergekommen? »Ich glaube, ich liebe sie.« Er sprach leise, weil er merkte, dass die Damen die Ohren spitzten. »Aber irgendwie kann ich nicht …« Sein Nicken veranlasste den Rabbi, im Gleichtakt mit dem Kopf zu wackeln. »Jedes Mal, wenn wir anfangen, macht sich mein Geist in ferne Sphären auf.«
»Hmm.« Der Alte runzelte die Stirn wie ein Arzt, der durch sein Stethoskop verdächtige Geräusche wahrnimmt. »Dann vielleicht sollst du brechen mit dem Heiligen die Verbindung, damit du nicht mehr bist zerrissen.«
Bernie starrte ihn verständnislos an. »Aber muss ich denn nicht zerrissen sein?« Die Schriften stimmten darin überein, dass dies das Los der Menschen war.
»Gar nicht.« Mit zwei Silben hatte Rabbi ben Zephir den wichtigsten Grundsatz von Bernies Glauben verworfen. »Schaust du mich an, wie im Frieden ich bin mit der Welt.«
»Mit welcher Welt?«, stotterte Bernie ratlos.
Wieder fuhr der krumme Finger nach oben. »Is doß die Frage.«
Bernie stöhnte auf, als der Rabbi genüsslich glucksend aus einer kleinen goldenen Dose eine Prise Schnupftabak nahm - zumindest ging der Junge davon aus, dass es Schnupftabak war. »Rabbi, entschuldigen Sie bitte, aber ich finde, für Sie ist es leicht, so was zu sagen. Sie sind ein erleuchteter Heiliger.« Glaubte er das noch?
»Nifter-schmifter.« Der Rabbi nieste in eins von mehreren ihm hingehaltenen Taschentüchern. »Hob ich Schluss gemacht mit dieser Heiligkeit, wo ich noch hob gelebt.«
»Aber Sie leben noch immer «, beharrte Bernie.
Der Rabbi grinste, und Bernie wartete auf das Wort, das in seinem Kopf widerhallte, ihm aber zum Glück erspart blieb.
»Schaust du«, fuhr der alte Zausel fort, »der rebbe, woß ich war, is er nie aufgewacht von dem Traum auf dem Eis, und war es ein langer Albtraum, muss ich dir nicht sagen. Seine neschome, is sie nie gekehrt zurück in seine Brust. Aber ich selbst, Elieser ben Zephir, hob ich erkannt, wurde ich wiedergeboren in dem Himmel, wie ich war auf Erden. Hier nichts is geschrieben, alles is erlaubt. Fühl dich gut mit dir selber, is doß ganze Gesetz.«
Bernie beschlich der Verdacht, dass diese heterodoxen Äußerungen nur dazu dienten, ihn zu schockieren, doch dann verwarf er diese Spekulation als genau die Art von egoistischem Denken, die ihm Lou immer zum Vorwurf machte. »Und was ist mit den mizwot?« Eigentlich war ihm klar, dass die Frage keine Bedeutung mehr hatte.
»Wie ich hob gelebt in meinem Leben«, kam die Antwort, »alle sechshundertdreizehn Gebote hob ich eingehalten; war ich a tamim, ein vollkommener Meister. Die tikkun ha-klali hob ich befolgt zu der sexuellen Enthaltsamkeit, und kein einziges Mal hob ich geschaut auf meinen schwanz. Wie der Blitz hob ich gelesen dem zelem, woß sich nennt die Genealogie von den Seelen. Waren legendär auch meine Schüler für ihre Frömmigkeit; über uns wurden erzählt Geschichten überall in dem galut. Hoßt du gehört, wie ich hob jemand eingestellt, damit ich immer hob die Namen Gottes vor mir? Wie ich hob
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