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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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und deine Mama, kommt sie Mittag zur minche. Eine eifrige Dame, is ihr Bewusstsein fast schon erhoben zum dritten Grad. Bald macht ihr nichts mehr der heiße Blitz und die abgesenkte Gebärmutter. Woher ich weiß doß? Woß ich weiß nicht?« Er wedelte gespenstisch mit dem krummen Finger. »War ich außerdem gestern eingeladen von ihnen zu dem Abendessen. Und du? Willst du immer noch brechen über dem Knie den Ruhm, oder du spielst dauernd wieder herum an dir?«
    Sprachlos angesichts dieses Wortschwalls, fand Bernie, dass sich die Laune des Rabbis durch den Ruhm gehoben hatte. Als er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, bekannte er, dass er tatsächlich in mindestens zwei Welten zugleich wohnte. »Ich … irgendwie stolpere ich immer wieder ins Paradies.« Er gluckste verlegen und sehnte sich plötzlich danach, dem Alten alles zu erzählen: dass ihm die konventionelle Realität inzwischen bis auf die Existenz des Mädchens fast belanglos erschien.
    Doch der Rabbi wedelte mit dem Zeigefinger vor seiner Nase wie ein Scheibenwischer. »Barney …«
    »Bernie.«
    »Bernie, is doß Paradies da, wo du schon bist.«
    Bernie zwang sich, den Blick von dem zuckenden Finger zu lösen. Er fragte sich, ob der Rabbi seine Worte ernst meinte oder in seiner Eigenschaft als Verkäufer von kommerzieller Erleuchtung sprach; dann rief er sich zur Ordnung: So eine Unterscheidung anzunehmen war bestimmt falsch. »Trotzdem«, bemerkte er kleinlaut, »irgendwie habe ich dauernd diese Erlebnisse.«
    »Do hoßt.« Der Alte atmete geräuschvoll aus, und dann kam wieder der Finger zum Einsatz, der diesmal an die vertrockneten Lippen gepresst wurde. »Kannst du nehmen die Physik für die Erlebnisse.« Er gackerte los, und die Damen fielen in seinen Heiterkeitsausbruch ein.
    Bernie war kein Spielverderber, dennoch antwortete er mit einem Anflug von Trotz. »Wenn diese Visionen kommen, verschlucken sie alles von mir, außer meinen Körper.«
    »Nu«, versetzte der Rabbi mit steil aufgerichteten Brauen, »Visionen.« Die Damen betrachteten ihn mit übertriebener Zärtlichkeit. »Tajerinker«, fuhr sein Mentor fort, »Visionen spende ich hier wie schalach-moneß an Purim; is nichts Besonderes, die Visionen.« Sotto voce fügte er hinzu: »Aber verrätst du nicht meiner Gemeinde.«
    Der vertrauliche Ton ermutigte den Jungen dazu, die erste Frage von einer langen Liste zu stellen. Brachten die Gemeindemitglieder des Rabbis von ihren meditativen Ausflügen je, äh, irgendwelche Geschenke mit?
    »Willst du machen Witze?« Der Rabbi war fassungslos oder gebärdete sich zumindest so. »Woß du glaubst, d’vejkeß, woß man nennt bewusst, is er ein Kreuzer zu dem Bahama? Bewusst … sein? Ist Endstation; kriegst du deines, bist du zufriedener Kunde, fertig.« Eine der Frauen steckte ihm eine angezündete Zigarre in den Mund, die er zwischen seine strahlend weißen neuen Beißer klemmte.
    »Aber …« Bernie dachte an die Weisheit, die die Meister durch ihre himmlischen Exkursionen gewannen. »Die zadikim …«
    Der Alte räusperte sich vernehmlich. »Woß für zadikim? Gibt es keine zadikim mehr. War ich der letzte und bin ich ertrunken in dem Jahrhundert vor dem Jahrhundert vor diesem.«
    »Aber, Rabbi«, wandte Bernie ein, obwohl die bemalte Larve des rebbe nur ein schwaches Argument darstellte, »Sie leben doch noch.«
    »Sozusagen«, erwiderte der alte Elieser geheimnisvoll.
    »Was soll das heißen?« Bernie war verblüfft.
    »Rabbi«, ging Messalina respektvoll dazwischen, »Sie dürfen sich nicht überanstrengen. Es ist Zeit, dass Sie nach unten zu Ihrer Gemeinde gehen.«
    Der Alte hob und senkte die Schultern, wie um zu bekunden, dass er der Märtyrer seines Publikums war. Nach einem letzten Zug reichte er die Zigarre zurück an die dralle Dame mit dem erneuerten Kinn. Als der Rabbi von seinen Betreuerinnen zur Tür eskortiert wurde, schoss es Bernie durch den Kopf, dass er in seinen Gewändern einer überdimensionalen Spielkarte glich: dem Joker, sagte er sich, ehe er den Gedanken schuldbewusst verbannte. Während er noch ratlos überlegte, was er jetzt tun sollte, stellte sich die Frau mit der Schlangenfrisur am Computer als technische Leiterin vor und lud ihn ein, die Darbietung des Rabbis aus der Loge zu verfolgen. Sie erklärte, dass die Worte des Heiligen auf Video aufgenommen und später auf seine Webseite geladen wurden, um von dort im Cyberspace Verbreitung zu finden. Bernie drückte die Nase an ein kugelsicheres Fenster, um die

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