Der Gefundene Junge
oberste Stufe und klopfte auf den leeren Platz neben sich.
Hap setzte sich hin. Auf der Treppe fühlte er sich sicher, denn er konnte seinen Arm um einen Pfosten der Reling legen. Seine Gedanken waren schon wieder zu dem seltsamen Inhalt des Briefes zurückgekehrt, als Nima die Stille mit einer Frage durchbrach.
»Warum schläfst du nicht wie die anderen, Hap?«
Hap zuckte die Achseln. »Ich weià nicht. Ich bin einfach nicht müde.«
»Alle Lebewesen müssen sich ausruhen. Boroon schläft jetzt auch.«
Hap nickte. Er fragte sich, ob der groÃe Wal wohl träumte.
»Warum hast du Angst vor dem Wasser?«, fragte Nima.
Lord Umber muss es ihr erzählt haben , dachte Hap. Oder sie merkt es einfach . »Ich weià es nicht. Vielleicht gibt es einen Grund. Aber ich erinnere mich nicht daran ⦠was vorher passiert ist.«
Nima fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, so dass das Wasser auf die Stufen tropfte. »Wir sind ein interessantes Paar, du und ich. Du hast Angst vor dem Wasser. Und ich fürchte mich vor dem Land.« Sie starrte in die Richtung, wo sich möglicherweise in einiger Entfernung das Ufer befand.
»Warum fürchtest du dich denn vor dem Land?«, fragte Hap.
»Ich gehöre nicht dorthin« war alles, was sie erwiderte. Hap sah sie von der Seite an. Sie faszinierte ihn. Er hätte sie gern noch mehr gefragt, doch er war zu schüchtern. Wer war wohl ihre Mutter? Gab es noch andere Wesen wie sie? Brauchte sie das Meer zum Ãberleben? Zog sie mit ihren Schwimmhäuten zwischen den Fingern ebenso viele Blicke auf sich wie er mit seinen grünen Augen, und war das der Grund dafür, dass sie sich auf dem Festland nicht wohlfühlte?
Es folgte eine lange Stille, die erneut Nima durchbrach: »Wie es aussieht, bist du das, wonach Lord Umber in Alzumar gesucht hat.«
»Schon möglich. Ich weià es nicht.«
»Du kannst dich glücklich schätzen, dich in seiner Gesellschaft zu befinden. Lord Umber ist ein auÃergewöhnlicher Mann.«
Hap warf einen Blick zurück zu der Luke und war erneut dankbar dafür, dass er nicht dabei erwischt worden war, wie er heimlich einen Blick auf den Brief geworfen hatte. »Ich weià nichts über ihn. Wer ist er?«
Sie lehnte sich zurück und legte ihre Hände um eins ihrer Knie. »Wer Umber ist? Es macht ihm bestimmt nichts aus, wenn ich es dir erzähle. Umber ist Ehrenbürger von Kurahaven, der Herr über Aerie, und nach dem König und seinen drei Prinzen bestimmt der mächtigste Mann im Königreich. Er ist Kaufmann und unvorstellbar reich. Er ist Architekt. Erfinder. Forscher. Mäzen der schönen Künste. Ein Feind des Bösen und der gröÃte Freund, den die einfachen Bürger je hatten. Aber seine gröÃte Freude ist es, die Welt zu erforschen und alles Seltsame und Magische in einer Chronik festzuhalten. Er schreibt Bücher darüber: Die Bücher von Umber .«
Hap fragte sich, ob es das war, was Umber in ihm sah: eine seiner seltsamen und magischen Entdeckungen. »Woher kennst du Lord Umber, Nima?«
»Umber ist ein treuer Freund von uns Merinauten â wir sind alle Schiffbauer und Seeleute. Die Verbesserungen, die er vor Jahren für die Segel und Ruder an den Schiffen meiner Familie vorgeschlagen hat, machten sie zu den schnellsten und besten der Welt. Also schworen die Merinauten, sich in seinen Dienst zu stellen.« Nima reckte sich und gähnte. »Bist du jetzt müde, Hap?«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Hap. Er fragte sich, wie das möglich war. Die anderen waren am Ende des Tages erschöpft. Sollten seine Glieder nicht schmerzen wie ihre? Sollte nicht auch sein Kopf nach vorn sinken und auch seine Lider zufallen?
»Ich habe bis jetzt Wache gehalten, aber nun muss ich schlafen«, sagte Nima. »Als Nächster ist dieser Grobian Oates an der Reihe. Würdest du ihn für mich wecken gehen? Immer wenn ichmit ihm rede, sagt er Dinge, für die ich ihn am liebsten schlagen würde.«
»Ich kann ja Wache halten«, schlug Hap vor.
Nima lächelte. »Du scheinst ein feiner Kerl zu sein, Hap. Aber du bist immer noch ein Fremder für mich, und auch in Umbers Reisegesellschaft bist du noch ein Neuling. Du hast dir das Recht, alleine Wache zu halten, noch nicht verdient â ganz gleich, wie gut deine Augen sein mögen.«
Nachdem er Oates wach gerüttelt
Weitere Kostenlose Bücher