Der Gefundene Junge
hätte lesen dürfen.
10
Hap rannte die Treppe zum Dach von Aerie hinauf, wo er Umber zu finden hoffte. »Junger Mann! Du darfst hier nicht einfach alleine herumlaufen!«, rief Lady Truden ihm nach.
Hap wartete, bis sie ihn eingeholt hatte. Ihm klopfte das Herz, als wollte es aus seiner Brust springen. »Ich muss Lord Umber das mit dem Schiff erzählen!« Unten in dem kleinen Zimmer hatte er das Fernglas auf das Schiff gerichtet. Jede Einzelheit stimmte mit dem überein, was er in Erinnerung hatte: helles Holz und ein gebogener Bug, der wie ein Schlangenkopf geformt war. Der einzige Unterschied war der, dass die groÃe Gestalt nicht mehr an Deck stand. Soweit er sehen konnte, hielt sich überhaupt niemand auf dem Schiff auf.
Der Treppenabsatz öffnete sich auf eine Gartenterrasse, die mit einer erstaunlichen Vielfalt von Sträuchern, Bäumen und Blumen begrünt war; trotz seiner Aufregung machte Hap so viel Schönheit sprachlos. Aber er würde sie später noch ausführlicher würdigen â Umber musste sofort von diesem seltsamen Schiff erfahren. Und er war sicherlich in dem Gebäude dort in der Ecke, einem Turm, der auf dem flachen Felsplateau errichtet worden war. Eine vergitterte Tür bildete den einzigen Eingang. »Das sind Lord Umbers Arbeitszimmer und sein Schlafraum«, rief Lady Truden schnaufend. »Niemand darf dort ohne seine Erlaubnis hinein. Und er hat mir deutlich gesagt, dass er nicht gestört werden möchte.«
»Verstehen Sie doch!«, sagte Hap mit immer lauter werdender Stimme. »Das Schiff hat uns verfolgt. Und jetzt ist es hier . Lord Umber muss das wissen!« Er sah ein Fenster in mindestens drei Metern Höhe und rief hinauf: »Lord Umber! Lord Umber! «
»Mein lieber Happenstance, ich muss schon bitten â¦Â«
Hap wollte das, was nun passierte, eigentlich gar nicht. In seiner Aufregung sprang er in die Luft. Er wollte einfach nur besser gehört werden, aber er hatte vergessen, wie hoch seine Beine ihn in die Luft katapultieren konnten. Das unebene Gestein der AuÃenmauer flog an ihm vorbei, bis sein Kinn über das Fensterbrett ragte. Er hörte Lady Truden nach Luft schnappen. Und bevor er wieder zur Erde zurückfiel, in dem Augenblick zwischen Aufsteigen und Absinken, erhaschte sein Blick etwas, das nicht für seine Augen bestimmt war.
Umber saà drinnen an einem Schreibtisch. Er drehte sich halb zum Fenster um, wahrscheinlich weil er sich über die Rufe wunderte, und so sah er, wie Haps Gesicht am Fenster erschien. Umber hob seine Hand, mit der Handfläche nach auÃen, und lehnte sich zur Seite, um etwas zu verbergen, das auf seinem Schreibtisch stand. Hap sah die Ecke eines glatten, hellen, silbrigen Gegenstandes und hinter Umbers Schulter strahlte ein fremdartiges, kaltes blaues Licht hervor, das Hap noch nie zuvor gesehen hatte.
Umbers Gesicht wurde von einem schrecklichen Ausdruck entstellt. Zunächst weiteten sich seine Augen und die Kinnlade klappte nach unten, doch dann wurde er zornig und biss wütend die Zähne zusammen. »Hap â niemals !«, stieà er hervor, noch bevor Haps FüÃe wieder den Boden berührten.
Lady Trudens Finger gruben sich in Haps Schulter wie die Krallen eines Adlers.
»Entschuldigung! Das wollte ich nicht!«, schrie Hap.
»Lady Truden!«, rief Umber. Er stand jetzt am Fenster und hatte seine Fäuste um das Gitter geballt.
Lady Truden presste die Kiefer zusammen und ihr bleiches Gesicht bebte. »Bitte vielmals um Verzeihung, Lord Umber, der Junge ist vorgerannt, und ich hatte keine Ahnung, dass er so hoch springen kann.«
Umber rieb sich über das Gesicht, atmete tief ein und hielt die Luft kurz an, bevor er sie wieder ausstieÃ. Als er die Hände wieder sinken lieÃ, entspannte sich auch sein Gesicht. Es war nicht die fröhliche Miene, an die Hap sich inzwischen gewöhnt hatte, aber zumindest sah Umber nicht mehr so aus, als wolle er jemandem Gewalt antun.
»Bin sofort unten«, sagte Umber und schloss die Fensterläden.
»Das war ein unverzeihliches Vergehen, junger Mann«, sagte Lady Truden und krallte ihre Finger noch fester in Haps Schultern. »Der Schutz von Lord Umbers Privatsphäre geht über alles. Wer das nicht respektiert, darf nicht hierbleiben.«
In Haps Kehle bildete sich ein Kloà und erschwerte ihm das Atmen. Seine Augen wurden ganz heià und eine Flüssigkeit
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