Der Gefundene Junge
wurde denn alles so schlimm, nachdem sie so viel Gutes getan hatte?«
Umber stützte sein Kinn in die Hand. »Ich nehme an, mit der Zauberei ist es ein bisschen so wie mit Erfindungen, Hap. Man mag zu Beginn die besten Absichten haben, aber es passiert leicht, dass man von unheilvollen Möglichkeiten verführt wird. Nehmen wir zum Beispiel das Feuer. Man kann es sich in einer Laterne zu Nutze machen, einem Heizofen, einem Backofen oder einem Schmelzofen. Aber man kann damit auch ein Dorf niederbrennen.
Wer weiÃ, warum Turiana böse geworden ist. Ich nehme an, sie hat zu viele Bücher mit Zauberformeln gelesen, zu viele böse Talismane gesammelt und mit zu vielen teuflischen Wesen Kontakt aufgenommen. Wahrscheinlich verfolgte sie dabei die Absicht, die schwarze Magie zu beherrschen und sie für gute Zwecke zu benutzen, so wie sie Kurahaven von den Seeriesen befreit hat. Aber am Ende war die dunkle Seite einfach zu verlockend.«
Umber sah einen Moment lang zu, wie die Sonne hinter dem gezackten westlichen Horizont verschwand. Oates hatte sein Lied beendet â oder es einfach ausklingen lassen â und sah Umber an.
»So ist es nun mal, Hap«, sagte Umber. »Wenn eine Waffe erfunden wird â ganz gleich, ob es eine Kriegsmaschine ist oder ein böser Zauberspruch oder irgendeine chemische Abscheulichkeit â, dann wird sie auch irgendwann eingesetzt. Bei Turiana passierte das auf die denkbar schlimmste Weise. Sie sprach unaussprechliche Verwünschungen aus und ermordete jeden, der sich ihr in den Weg stellte. Sie verlangte riesige Abgaben in Gold und Edelsteinen und drohte damit, noch gröÃeren Schaden anzurichten, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden. Eine Weile lang sah es so aus, als würde Kurahaven erneut zu einer Geisterstadt werden.«
»Aber das ist es nicht?«, fragte Hap.
»Nein. Es kam jemand, der Turiana besiegte.«
»Wer?«, fragte Hap.
Umber erhob sich und umfasste den Kragen seiner Weste. »Er steht vor dir. Und als Belohnung bekam ich Aerie geschenkt, um es zu meinem Zuhause zu machen.«
»Sie?«, sagte Hap. »Sie haben Turiana getötet?«
»Sehe ich aus wie ein gewalttätiger Mann? Ich habe sie nicht getötet. Ich habe sie nur ihrer Macht beraubt.«
»Aber wo ist sie denn hingegangen?«
Umber räusperte sich. »Nirgendwohin, mein Junge. Sie ist immer noch hier.«
Hap begann auf der Stelle zu zittern.
»Es stimmt«, sagte Oates.
»Natürlich stimmt es«, sagte Umber. »Vielleicht hast du mich mal von unserem âºGastâ¹ sprechen hören? Das ist Turiana. Sie befindet sich in den Höhlen hinter Aerie. Zum Wohl des Königreichs ist sie dort sicher verwahrt, wird jedoch gut behandelt. Aber nun genug Geschichte, Hap! Es wird Nacht â Zeit, zum Palast aufzubrechen.«
Hap folgte Umber zum Pförtnerhaus. Sie hätten auch den kleineren Ausgang nehmen können, doch Umber öffnete die schwarze Tür, und es bereitete ihm sichtlich Vergnügen, seinen Zaubertrick noch einmal vorzuführen. Einer der Männer, die rund um die Uhr den Eingang bewachten, öffnete ihnen die Kutschentür. In seinem anderen Arm wand sich eine schwarze Katze mit einem weiÃen Fleck auf einer ihrer Pfoten.
»Eine Katze, Dodd?«, fragte Umber und zog eine Augenbraue hoch. »Du weiÃt doch, dass die hier nicht gern gesehen sind.«
»Verzeihung, Lord Umber«, sagte Dodd. Die Katze bohrte ihm die Krallen ihrer Hinterpfoten in die Seite, befreite sich und floh unter das Pferd. »Autsch! Sie ist heute Nachmittag hier aufgekreuzt.«
Umber beobachtete, wie die Katze davonschlich. »Lass uns losfahren«, sagte er zu Hap und stieg in die Kutsche.
»Kommt Oates denn nicht mit?«, fragte Hap. Er war sich nicht sicher, ob Oates ihn mochte, aber er fühlte sich immer besser, wenn er in der Nähe war.
»Oates mit in den Palast zu nehmen, wäre zu riskant«, erwiderte Umber. »Ich weià nie, welche wichtigen Menschen er mit seiner brutalen Ehrlichkeit kränkt.«
»Oder welche feine Dame ihm eine Ohrfeige verpasst«, sagte Dodd.
»Ja, auch das«, erwiderte Umber lachend. »Wir begnügen uns mit meinen Wachen: Wilkin, Barkin und Dodd. Falls es ihnen nichts ausmacht, für eine Weile ihr Kartenspiel zu unterbrechen. Das ist doch kein Problem, oder, Dodd?«
»Natürlich nicht«, sagte Dodd, der Wachmann,
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