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Der geheime Auftrag des Jona von Judaea

Titel: Der geheime Auftrag des Jona von Judaea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Allerheiligste, dessen innerste Kammer, wo sich der symbolische Sitz Gottes befand, nur der Hohepriester betreten durfte und das auch nur einmal im Jahr.
    Tempeldiener nahmen den Pilgern die mitgebrachten Opfertiere ab. Jona registrierte es gar nicht bewusst, dass jemand ihm das Paar Tauben aus der Hand nahm, die Tiere auf ihre Makellosigkeit prüfte und sie einem anderen Tempeldiener weiterreichte. Er starrte mit einer Mischung aus Andacht und atemlosem Staunen auf den gewaltigen Altar im Priesterhof, der aus schweren, unbehauenen und aufeinander geschichteten Steinquadern bestand. Er schätzte, dass dieser monumentale Block gute dreißig Ellen in der Breite, an die vierzig in der Länge und mindestens zwölf Ellen in der Höhe maß. Eine nicht minder breite Steinrampe führte zu ihm hinauf, wo ein mächtiges Feuer brannte.
    Eine gute Hundertschaft von festlich gewandeten Priestern und noch mehr Tempeldiener, die ihnen dabei zur Hand gingen, waren damit beschäftigt, das Morgenopfer darzubringen. Die Diener führten den Priestern Scharen von Lämmern, aber auch andere Brandopfer wie Rinder, Ziegen und Tauben zu. Sowie ein Priester eines der Tiere gesegnet hatte, wurde es auf marmornen Tischen geschlachtet, zerteilt und dem Feuer übergeben. Tierblut ergoss sich in Schalen, wurde an die Kanten des Altars gespritzt und floss in Rinnen am Steinblock herab. Währenddessen dröhnten dutzende Fanfaren und Becken und der Chor der Sänger erklomm immer neue Höhen. Das Getöse war so laut, dass niemand der Pilger die Gebete und Segnungen der Priester und die Psalmen, die von Leviten rezitiert wurden, hören konnte.
    Jona stand wie betäubt von dem Geschehen in der Menge, ebenso heftig bewegt von der Opferung wie von einem Schauer ergriffen, den Tod so vieler Tiere mit ansehen zu müssen. Er versuchte zu beten, doch bei all dem Getöse, das die Musiker und Sänger veranstalteten, und dem nicht abreißenden Strom von Brandopferungen wollte es ihm nicht gelingen, innerlich still zu werden und sich auf ein Gebet zu konzentrieren.
    Und schon bald löste er sich aus der Menge und trat mit einem merkwürdigen Gefühl der Enttäuschung den Rückweg an. Beinahe fühlte er sich betrogen, war er doch mit so großer Erwartung zum Tempelbezirk hochgestiegen. Irgendwie hatte er sich die heilige Brandopferung auf dem Altar vor dem Heiligtum anders vorgestellt, von mehr feierlicher Stille und frommer Inbrunst beseelt als von diesem geschäftigen, von fast schon martialischen Fanfarenklängen begleiteten Hin und Her der zahllosen Priester und der Leviten, die ein Tier nach dem anderen auf die Opferbänke legten. Da waren ihm die Gottesdienste in einer kleinen Dorfsynagoge zehnmal lieber. Es fiel ihm schwer, sich das einzugestehen, galt dies doch als der allerheiligste Ort für jeden frommen Juden, aber so empfand er nun mal.
    Jona befand sich schnell wieder auf dem weitläufigen Hof der Heiden, der ihm jetzt mehr noch als bei seinem Eintreffen wie ein gewöhnlicher Marktplatz erschien. Eine Gruppe von Aussätzigen in zerrissenen, stinkenden Gewändern, die den Pilgern ihre fleckigen Arme entgegenstreckten und um Almosen bettelten, kreuzte seinen Weg. Hastig warf er ihnen einige kleine Münzen vor die Füße, um sie sich vom Hals zu halten.
    Gerade hatte er sich von ihnen abgewandt, als eine junge Frau in einem schlichten, aber mit hübschen Borten verzierten Gewand links an ihm vorbeiging. Sie strebte wie er der Treppe zum unterirdischen Gang zu, der unter der Königlichen Halle hindurch und hinaus auf die gewaltige Treppenanlage vor dem Doppelten Tor führte.
    Unwillkürlich wandte er ihr den Kopf zu. Und wenn der leichte Windstoß in diesem Moment nicht ihr besticktes Kopftuch zur Seite geweht und ihm ihr Gesicht enthüllt hätte, hätte er sie schon im nächsten Moment nicht weiter beachtet.
    Und dieses Gesicht kannte er! Sein Lebtag würde er es nicht vergessen, so gut hatte es sich ihm bei den beiden Begegnungen eingeprägt. Er hätte es nachzeichnen können, wenn ihm diese Gabe gegeben gewesen wäre.
    »Tamar?«, fragte er leise, obwohl es keinen Zweifel geben konnte, wer da an seiner Seite dem Ausgang zustrebte.
    Die Frau blieb auf den Anruf hin überrascht stehen und drehte den Kopf. Ihre Augen weiteten sich vor Unglauben, als nun auch sie ihn wiedererkannte.
    Ein langer Moment verstrich, in dem sie sich anblickten und keiner wusste, was nun folgen sollte.
    »Ich bin froh zu sehen, dass du wohlauf in Jerusalem angekommen bist«,

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