Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
nicht wieder in seiner Nähe blicken zu lassen, wenn ihm sein Leben lieb war. Und so wortlos, wie er ihn an der Kiste überrascht, zur Treppe zurückgetrieben und jetzt gewarnt hatte, so wortlos drehte er sich um und verschwand wieder im Dunkel der Säulengalerie.
Hastig rappelte Jona sich auf und lief die Treppe hoch, wo Timon schon auf ihn wartete. Er kauerte mit gezücktem Messer an der Ecke, wo die Balustrade mit den Rundbögen endete. Dort lagen auch ihre Kleiderrollen bereit.
»Und wo sind die Seile?«, stieß er bestürzt hervor, als er Jona mit leeren Händen sah.
Jona rieb sich die brennende rechte Gesichtshälfte und berichtete rasch, was ihm eben widerfahren war.
»Du kannst von Glück reden, dass dir der Kerl nur mit der Breitseite eins verpasst und dich dann laufen gelassen hat«, meinte Timon, um sogleich düster hinzuzufügen: »Aber ohne Seil sind wir aufgeschmissen. Tja, das ist dann das Ende unserer glorreichen Flucht.«
»Von wegen! Wir geben doch jetzt nicht auf, wo die Freiheit zum Greifen nah ist!«, widersprach Jona, kam ihm doch plötzlich eine rettende Idee. »Wir kriegen unser Seil schon. Nur wird es mehr Arbeit machen als gedacht. Ich habe da eine Idee.«
»Wirklich?« Timon schöpfte sofort neue Hoffnung und packte ihn aufgeregt an der Schulter. »Nun sag schon! Spann mich nicht auf die Folter! Wo sollen wir das Seil herbekommen, wenn nicht von unten?«
»Wir holen es uns dort aus der Kammer!«, antwortete Jona und zeigte auf eine schmale Tür, die bei der Holzstiege in eine von Akibas Vorratskammern führte. »Besser gesagt, wir werden uns ein Seil aus vielen Decken zusammenknoten müssen. Als einer von Akibas Dienern gestern vor der offenen Tür an jeden eine Strohmatte ausgeteilt hat, habe ich gesehen, dass in der Kammer auch mehrere hohe Stapel Decken aufbewahrt werden. Im Winter sind die Nächte hier im Bergland sehr eisig. Da braucht man mehr als nur seinen Mantel, um sich warmzuhalten.«
Timons finsteres Gesicht hellte sich schlagartig auf und er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Natürlich! Die Decken- und Mattenkammer ist unsere Rettung! Also dann, nichts wie hin und an die Arbeit!«
In die Kammer einzubrechen, stellte kein großes Problem dar. Im Gegensatz zu den Türen der billigen Gemeinschaftsunterkünfte bestand die Tür der Vorratskammer zwar aus alten Brettern und trug sogar ein schweres Schloss. Aber als Scharniere dienten auch hier nur Lederschlaufen und die waren schnell mit dem Messer durchtrennt.
Sie fanden ausreichend alte Decken in der Kammer vor. Daraus jedoch ein Seil zu fertigen, dem sie sich anvertrauen konnten, erforderte schweißtreibende Arbeit. Da es zu mühsam war und ihnen zudem nicht sicher erschien, eine Decke an die andere zu knoten, schnitten sie die Decken der Länge nach in drei jeweils unterarmbreite Streifen. Diese ließen sich leichter und reißfester miteinander verbinden. Aber einem einzigen Strang aus solch schmalen Streifen wollten sie ihr Gewicht lieber nicht anvertrauen. Deshalb bestand das fertige Seil letztlich aus drei einzelnen Seilen, die sie zu einem Strang miteinander verflochten.
»Endlich!«, stieß Timon erleichtert hervor und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Los, jetzt nichts wie auf das Dach damit! Wir haben eine Menge Zeit verloren.«
Die Arbeit hatte sie eine gute Stunde gekostet, wie Jona mit Blick auf den Mondstand schätzte, als sie mit den dicken Seilschlaufen über der Schulter die knarrende Holzstiege zum Dach hoch erklommen.
Sie hängten die vorbereitete Schlinge über eine der Zinnen, zogen sich bis auf ihren Lendenschurz aus und schnürten ihre Kleider samt Sandalen und Kopftüchern zu einem Bündel zusammen, das sie an das andere Ende des Seils banden, damit sie beim Hinabklettern die Hände frei hatten und von den langen Gewändern nicht behindert wurden. Dann ließen sie das Seil nach und nach in die Tiefe hinunter.
Timon lachte leise auf, als sie sich über die Mauerkante beugten und die Länge ihres Seils prüften. »Gut geschätzt! Sieht jedenfalls so aus, als würde es bis ganz unten reichen! Das Bündel baumelt gerade so über dem Boden, wenn mich meine Adleraugen nicht täuschen.« Er klopfte Jona auf die Schulter. »Also dann, wer von uns hat die Ehre, zuerst daran hinunterzuklettern?«
»Die hast du«, sagte Jona. »Ich muss noch einmal kurz in unser Quartier zurück.«
Timon sah ihn ungläubig an. »Das kann nicht dein Ernst sein! Was hast du denn da noch verloren?
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