Der geheime Basar
Schläge für lesbische Beziehungen. Das heißt, bei den ersten drei Malen. Denn eine Frau, die zum vierten Mal dabei ertappt wird, erhält das Todesurteil. Siehe Paragraph 127 bis 134 respektive lesbische Frauen. Achtzig Schläge für falsche Beschuldigungen und Hetze. Achtzig für Trunkenheit.
Steinigung. So bestimmt es das Gesetz: Jeder Stein bei der Steinigungszeremonie hat groß genug zu sein, um zu verletzen, doch nicht so groß, dass er mit einem oder zwei Würfen tötet. Der Tod muss Leiden beinhalten. Siehe Paragraph 104. Wenn es dem zum Tode Verurteilten gelingt, aus der Grube zu entkommen und zu flüchten, ist er frei und sein Urteil aufgehoben. Ich hob den Kopf von den Seiten, fasste erklärend für den Kater zusammen, fragte ihn: «Ist dir auch aufgefallen, mein lieber Chamad, dass das unlogisch ist? Einen Mann, der gesteinigt wird, graben sie nur bis zu den Hüften ein, also kann er sich befreien, wenn er sich anstrengt, während man eine Frau bis zur Brust eingräbt, ihre Hände also auch in der Erde feststecken. Wie soll sie sich da selbst herausziehen und fliehen? Siehe Paragraph 102. Wo sind hier die Frauenorganisationen, die gegen Diskriminierung protestieren? Und auch gegen Paragraph 93 sollten sie wirklich protestieren, denn die Steinigung ist auch während ihrer Menstruation erlaubt, ebenso im Falle einer kranken oder kränklichen Frau. Vergiss es, mein lieber Kater, reg dich nicht auf, so ist unser Leben, du wirst dich freuen zu erfahren, dass China mehr Menschen hinrichtet als wir, dann kommen wir, und nach uns Pakistan, Saudi-Arabien und die Vereinigten Staaten von Amerika. Alles in allem befinden wir uns in guter Gesellschaft. Nein, nicht die Religion ist schuld, weder die Religion noch der Glaube. Wenn es eines gibt, das die Geschichte jenseits allen Zweifels bewiesen hat, schon seit den Tagen, in denen man durch Zerquetschen unter einem Elefantenfuß hingerichtet wurde, ist es, dass die Menschen grundsätzlich so sind, hier und überall, zum Teil ganz unverhüllt, zum Teil im Geheimen. Und manche sitzen in Cafés, denn momentan sind sie noch nicht an der Reihe, getötet zu werden oder zu töten. Zwanzig Kilometer entfernt von ihnen wird jemand zu Tode getrampelt, haargenau jetzt, und bei ihnen schmeckt der Kaffee heiß und süß. So sind wir alle. Wir brauchen den Geruch von Zerstörung in der Luft. Gib uns eine Utopie, und wir werden rebellieren.»
Am Mittag lag ich im Halbschlaf auf Babaks Bett. Ein Anruf von Nilu weckte mich. Sie klang angespannt. «Alles in Ordnung mit dir?»
«Ja.»
«Mach keinen Unsinn.»
«Wer macht hier Unsinn?» Ich schwieg, denn ich war verschlafen.
«Ich liebe dich.»
«Du bist irgendwie komisch.»
«Das geht vorbei.»
«Wo bist du?»
«Ich kümmere mich um ein paar Probleme, keine Sorge, ich rufe an, wenn ich kann, pass auf dich auf, Kami.» Schweigen. Ich war zu verschlafen, um beunruhigt zu sein. Doch ich rüttelte mich wach und wählte wieder ihre Nummer. «Der von Ihnen gewünschte Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar.»
26
Am Vierzehnten des Monats Farwardin, zwei Wochen nach Neujahr, weckte ich Zahra um sechs Uhr morgens. Wir zogen uns schnell an, obwohl noch Zeit war. Sie hüllte sich in Schwarz, und ich fuhr in das weiße Baumwollhemd und die Leinenhosen, die Nilu mir gekauft hatte. Zahra öffnete die Sprossen der Rollläden. Fütterte den Kater, schaltete die Zeituhr des Warmwasserboilers aus, die Wettervorhersage hatte überraschend brennende Sonne angekündigt. «Willst du heiße Milch?», fragte sie. «Willst du Tee mit Minze?» Und dann saßen wir auf den Küchenstühlen und warteten, spähten alle paar Sekunden auf die Uhr. «Was hast du am Nachmittag für Pläne, mein lieber Kami? Bis Mittag wird alles vorüber sein, es ist wichtig, dass du Pläne machst.» Ich schwieg.
Um sieben klopften wir an Frau Safurehs Tür. Die alte Dame trug ein graues Ensemble, wie der Regenmantel eines Detektivs in einem alten Film, mit einem blütenweißen Kopftuch, glatter gebügelt denn je. Sie war mit dem Einpacken von Sandwiches beschäftigt, bat uns zu warten. Wir warteten. Jedes Sandwich wurde in Papier eingewickelt, jedes Papier in ein Plastiktütchen. Sie stieß ein gezwungenes kurzes Lachen aus. «Kami, ich zerstöre dir den Planeten mit dem ganzen Plastik», sagte sie und klang verlegen wegen ihres künstlichen Lachens. Sie schichtete die Sandwiches in einen Korb. Ihre Hände zitterten vor Aufregung. «Kommt, wir gehen hinunter, meine Lieben,
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