Der geheime Basar
in den Irak, von dort nach Österreich, und momentan schreibt er uns aus den Vereinigten Staaten, wo er politisches Asyl und eine Fernsehshow erhalten hat. Unser Freund bittet, dass wir uns alle im Gedenken an die ewige Tapferkeit der Kameraden vereinigen, die unter Foltern ermordet wurden, und wünscht jedem von uns eine Reise übers Meer, um – und sei es nur für einen Augenblick – die Freiheit zu riechen und zu atmen. Bewegend. In den nächsten Tagen wird er Bilder von seinem Mobiltelefon schicken, die über seinen Fluchtweg Aufschluss geben. Auch die beiden Sportler Puria und Puja Fazel Elahi, die bei der Verteilung von Flugblättern für Redefreiheit festgenommen wurden und mit der Unterstützung von Menschenrechtsaktivisten der Haft entkamen, werden uns in Kürze ein Grußschreiben und nützliche Ratschläge für die Organisation zusenden.»
«Gute Arbeit, Titin», lobte Muhammad. «Sehr schön. Und was ist für nächste Woche geplant?»
Die Aktivistin Lulu las vor. «Übermorgen werden wir uns sofort nach Sonnenuntergang am Enqelab-Platz treffen und uns vor den Toren der Universität aufstellen, eine stille, gewaltfreie Versammlung, unter Beteiligung von fünf weiteren Untergrundgruppen. Das ist zum Gedenken an den Studenten Akbar Muhammadi, der an einem Hungerstreik in seiner Haftzelle starb, in der auch er seit den Demonstrationen 1999 festgehalten wurde. Sein Bruder Manutschehr befindet sich noch im Gefängnis.»
Aufregung machte sich unter den Anwesenden bemerkbar. Die Aktivisten werden gebeten, mit leichten, flachen Fluchtschuhen zu erscheinen und keine Ausweise oder Adressbücher dabeizuhaben. Ich stand auf, zog meinen Stuhl hinter mir her, zu Muhammad hinüber, und ließ mich neben ihm nieder. Ich flüsterte ihm direkt in seine Ohrmuschel. «Das wird hier gemacht? Gedenkdemos? So sieht euer Protest aus?»
Muhammad klopfte mir auf den Rücken, schnalzte mit der Zunge und hob autoritär seine Stimme. «Freunde», verkündete er, «wir haben heute einen Gast bei uns, wir begrüßen Kami Soheil aus Bandare Anzali, der erst kürzlich nach Teheran gezogen ist. Ich sage im Namen von uns allen, dass wir uns freuen, ihn dabei zu unterstützen, sich hier zu akklimatisieren. Kami möchte der Gruppe etwas sagen.»
Ich erhob mich, das Gesicht lief mir rot an, meine Ohren glühten, ich war stark beunruhigt, vielleicht eine Demütigung zu erleiden. Genug, lass den Unsinn, flüsterte ich mir im Kopf zu, das ist der Augenblick der Wahrheit, für Babak bin ich bereit, mich demütigen zu lassen. «Danke, dass ihr mich als Gast aufgenommen habt, ich habe einen Freund, er ist verschwunden, ich muss ihn retten, ich muss ihn aus den Verliesen des Bösen herausholen, ich brauche eure Hilfe.» Das war alles, was ich sagte.
Lulu bat höflich: «Erlaube mir kurz, dich zu korrigieren, Kami, bei uns hier reden wir nicht in solchen Begriffen. So etwas wie das Böse gibt es nicht. Wenn du das sagst, machst du es dir leicht, und ihnen auch, denn das besagt, dass es eine solche Eigenschaft gäbe, die nicht kontrollierbar ist, und daher hätte es auch keinen Sinn, sie zu bekämpfen.»
«Wenn es kein Böses gibt, was ist dieses ganze Böse dann?», fragte ich.
«Nichts Böses wird im Namen des Bösen gemacht», mischte sich Muhammad ein, «es gibt zwei Sorten von Nicht-Bösem, die Menschen irrtümlich für böse halten. Im Allgemeinen handelt es sich um die gerechtfertigte Sorte, die Menschen oder Gruppen angreift, die es so gut meinen, dass sie den Weg aus den Augen verlieren. Ihrer Auffassung nach haben sie alle Gründe der Welt, um das zu tun, was du das Böse nennst, um uns allen damit Gutes zu bringen. Denn das Gute zu bringen ist dermaßen frustrierend, dass es einen wahnsinnig machen kann. Das ist die eine Sorte. Und die zweite Sorte ist eine psychische Störung. Es ist die Krankheit eines verwundeten Menschen, den die Welt verraten hat. Aber das Böse an sich existiert nicht, also sag das nicht.»
«Und was soll es mir helfen, es nicht zu sagen?»
«Der Großteil der Lösung liegt im Verständnis, du musst verstehen.»
Zur Hölle, jetzt bringen sie mich mit Wörtern um den Verstand, dachte ich wütend, und ich wusste nicht, ob ich brüllen oder lachen sollte, denn mir fiel Herr Ali Samimi ein, der mir ins Ohr zischelte, mich vor Kunden in Acht zu nehmen, die er besonders hasste. «Vor allem, Kami, wahre Abstand von diesen klugen Köpfen», sagte er, «je klüger ein Mensch ist, desto unvernünftiger ist er, je
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