Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
Vom Netzwerk:
Streifen, die für Privatfahrten, die sind der blanke Raub. Und überhaupt, man kann sich vier Fünftel der Beförderungskosten sparen, wenn man einfach mit dem Bus fährt. Und fünf Fünftel, wenn man aufs Fahrrad steigt. Reine Entscheidungssache.»
    «Aber an einem solchen Tag …», grollte Zahra.
    «Ja, an einem solchen Tag, natürlich», stimmte Frau Safureh zu. «Da bleibt nur ein Spezialtaxi.»
    Die Schotterstraße am Rande des Dschamschidieh-Parks war leer. Auch der Parkplatz. Der Morgen eines besonders verschlafenen Wochentags. Das Taxi hielt zwischen den großen grünen Müllcontainern, und wir stiegen aus. Wir streckten die Glieder, strichen Hemden und Kleider glatt, marschierten zu dem Platz. Am Wegrand, hinter einer Absperrungskette der Polizei, parkte ein einsamer weißer Lieferwagen. Die Schiebetür wurde zur Seite gezogen, und Nilufar war zu sehen. Sie saß im Tschador da, höflich, lauschte den Worten eines dürren, bärtigen Mannes. Ihre Hände lagen in Handschellen. Sie sagte etwas zu ihm, doch wir hatten keine Möglichkeit, es zu hören. Zwei Männer in Zivilkleidung reichten ihr die Hand, halfen ihr behutsam auf den Asphalt. Sie stieg aus, sie fassten sie von beiden Seiten an den Armen, führten sie einen kurzen Pfad entlang. Zwei Reihen junger, bewaffneter Soldaten säumten den Weg, wie ein Todeskorridor, und jeder von ihnen hätte alles auf der Welt dafür gegeben, um bei ihr zu sein, der ihre zu sein.
    Ich war es. Vielleicht gab es noch eine Reihe anderer, die ihr gehörten, und ich wusste es nur nicht, doch ich war wirklich der ihre. Ich senkte den Blick. Doch Nilufar senkte ihn nicht. Sie hatte so einen merkwürdigen Ausdruck, nicht einmal erschreckt oder geschlagen. Sie gewahrte uns auf einem kleinen Rasenpolster hinter der Absperrung. Sie lächelte mir zu, und mein Bauch zog sich ohnmächtig zusammen, ich fühlte mich schmutzig. Sie schnitt eine Art Grimasse, versuchte etwas mit den Augen zu sagen, doch sie sprach nicht, schrie nicht. Sie sollte schreien! Wir würden sie doch hören, wenn sie nur schreien würde! Versuchte sie zu sagen, dass alles in Ordnung war mit ihr? Versuchte sie zu sagen, dass sie nichts bereute? Dass sie nicht böse war? Sie runzelte die Stirn, machte ein paar zarte Gesten mit dem Kopf, anscheinend versuchte sie, uns zu beruhigen. Vielleicht lächelte sie sogar eine Spur, schließlich waren wir für sie gekommen, wir alle waren für sie gekommen. Und sie hatte das Spiel letztlich mitgespielt, das hier war Teil des Spiels, vielleicht war es das, was sie zu sagen versuchte. Ich wollte ihr noch ein paar Augenblicke länger in die Augen sehen, doch ein weiterer Mann näherte sich, verhüllte den letzten Fleck, der von ihrem Gesicht noch sichtbar war, mit einem schwarzen Stoffstück, bedeckte auch ihre Augen. Nur ein winziger Spalt blieb übrig, ihre roten Lippen, damit sie atmen konnte. Er sagte kein Wort. Musste nichts sagen. Jeder erledigte seine Aufgabe. «Schließ die Augen», flüsterte Zahra mir zu, «entzünde deine junge Phantasie und schwebe davon. Finsterer kann es nie mehr für dich werden. Fasse Mut.»
    Nilu biss sich auf die Lippen. War das ein Zeichen von Traurigkeit?
    Wir stiegen den Pfad hinauf. Es gab keine Menschenansammlung. Ein leerer Rasen. «Wo ist die Menge?», fragte Zahra. «Niemand ist gekommen, um zuzuschauen.» Und Frau Safureh antwortete, dass sie niemals, noch nie in ihrem ganzen langen Leben in dieser Republik ein so eigenartiges Schauspiel erblickt habe, als seien alle Regierungsstellen verwirrt gewesen und hätten sich nicht entscheiden können, ob sie die Zeremonie im Dunkeln, hinter verschlossenen Türen durchführen wollten, oder lieber auf offener Straße in aller Öffentlichkeit, und ob das Mädchen ein Symbol war, das von den Dächern gestürzt werden musste, oder eine Feder, die von selbst im Nachtwind eines geschlossenen Gefängnishinterhofs davongeweht würde. Es gab schon viele solche Fälle, aber nie habe es eine derartige Verwirrung gegeben.
    Ein Ordner bat das nichtexistente Publikum, sich in Geduld zu üben, in wenigen Minuten würde man beginnen. Er hatte dunkle Haut und einen ergrauenden Schnauzer, ein rundes, aufgedunsenes Gesicht, große Ohren, Flaum auf der Glatze und eine kurze, blaue Regenjacke, die nicht zu verbergen vermochte, wie ihm der Bauch über den Hosenbund quoll. «Bei diesem Abschaum», verkündete er, «muss nicht einmal aus dem Koran gelesen werden.» Und drei zufällige Passanten scharten sich

Weitere Kostenlose Bücher